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eingetragen von Sigmar Salzburg am 30.07.2018 um 12.44

(Dieser Artikel ist zu lang und wird noch gekürzt.)

Frau Kühne will in den „Potsdamer Neuen Nachrichten“ umfassend über die Zwangsreform berichten, „vergißt“ dabei aber den ablehnenden Volksentscheid in Schleswig-Holstein, und sie unterschlägt die über zwanzig Jahre lang andauernde siebzig- bis neunzigprozentige Ablehnung der Schreibbastelei in Hunderten von Umfragen. Und in nur einem kleinen Satz erwähnt sie den alles durchdringenden, häßlichen, scheinvernünftigen Giftkampfstoff, der nach der Ex-Bildungsministerin Johanna Wanka 95 Prozent der „Reform“ ausmacht: das neue Dass-Deutsch, das entscheidend zur Durchsetzung beiträgt. Es ist das Anthrax, Novitschok oder Sarin für die Schreibtradition.


20 Jahre Rechtschreibreform
Das Ende der Majonäse


von Anja Kühne

Majonäse, Grislibär und Ketschup – sie sind Geschichte. Als der Rat für deutsche Rechtschreibung die Regeln vor zwei Jahren überarbeitete, strich er diese seit der Rechtschreibreform erlaubten Schreibweisen. Sie hatten es nie geschafft, aus dem Schatten ihrer komplizierten fremdsprachigen Vorbilder Mayonnaise, Grizzlybär und Ketchup zu treten. Auch Joga, Nessessär und Wandalismus blieben unpopulär und landeten auf dem Rechtschreibschrottplatz.

Vielleicht war das unlängst eingeleitete Ende einer Reihe von eingedeutschten Fremdwörtern der letzte Triumph der Reformgegner. Denn weitere wichtige Regeln der reformierten Rechtschreibung werden wohl nicht mehr zurückgenommen. Zwanzig Jahre, nachdem die neuen Regeln am 1. August 1998 in Kraft traten, sind nur noch „wenig spektakuläre“ Änderungen zu erwarten, hat der Rat für deutsche Rechtschreibung erklärt. Die reformierten Regeln stehen. Und sie werden „insgesamt von den Schreibenden angenommen“, sagt Sabine Krome, die die Geschäftsstelle des Rats für deutsche Rechtschreibung vertritt. „Auch die Aufregung über die Rechtschreibreform hat sich weitgehend beruhigt.“

Der Duden, das "meistgehaßte Buch"

Wie schreibt man richtig? Der Kampf darüber erschütterte Deutschland jahrelang und erreichte schließlich sogar das Bundesverfassungsgericht. Dabei hatte der Wunsch nach einer Vereinfachung der Orthografie schon lange bestanden. Im Jahr 1901 war auf der „zweiten Orthographischen Konferenz“ in Berlin erstmals ein für alle Länder im deutschen Reich verbindliches Regelwerk beschlossen worden – ein Durchbruch. Grundlage war die preußische Schulnorm, die sich mit dem „Orthographischen Wörterbuch“ des Gymnasialdirektors Konrad Duden bereits durchgesetzt hatte. So wurde aus Chicane Schikane, aus Litteratur Literatur.

Doch bald werden die zahlreichen erlaubten Varianten (Brennnessel und Brennessel, morgens oder Morgens) immer weiter reduziert. Laien müssen linguistische Spitzfindigkeiten auswendig lernen: In bezug auf heißt es, aber mit Bezug auf. Auto fahren, aber radfahren. Der Duden ist „das in Deutschland wohl meistgehaßte Buch“, schreibt der "Spiegel" 1956.

Jahrzehntelang scheitern Vorstöße zur Reform an empörten Reaktionen der Öffentlichkeit. Umstritten ist besonders der Vorschlag von 1954, Substantive klein zu schreiben, wie es in anderen Sprachen üblich ist. Erst in den liberalen siebziger Jahren plädieren 53 Prozent der Bundesbürger dafür [?]. Auch der damals reformfreudige Schriftstellerverband PEN – später ein wütender Reformgegner – fordert die Abschaffung der „reaktionären“ Substantivgroßschreibung. So weit gehen die Linguisten vom Institut für deutsche Sprache in Mannheim aber nicht, die seit 1987 im Auftrag der Kultusminister ein neues Regelwerk erarbeiten. 1994 einigen sich die Fachwissenschaftler und Beamte auf ein Regelwerk. Am 1. Juli 1996 unterzeichnen die Kultusminister sowie Vertreter anderer deutschsprachiger Länder die Neuregelung.

Bei den Kommata gibt es großzügige Kann-Bestimmungen

Die Zahl der Regeln wird deutlich verkleinert. Bei den Kommata gibt es großzügige Kann-Bestimmungen. Substantivierte Adjektive oder Partizipien in festen Wortgruppen werden jetzt großgeschrieben: im Argen liegen, im Dunkeln tappen. Weit mehr als früher werden Wortverbindungen getrennt geschrieben, durchgängig etwa bei Ableitungen von -ig, -isch oder -lich: heilig sprechen, müßig gehen genau wie schon nach alter Regel ruhig bleiben, deutlich machen. Nur nach langem Vokal gibt es noch das ß , sonst ss. Zur Umsetzung der Reform wird eine Zwischenstaatliche Kommission ins Leben gerufen, die wie ihre Vorgängerin am Institut für deutsche Sprache in Mannheim angesiedelt ist.

Ein Sturm der Entrüstung bricht los. Die Reform sei ein „typisches Fossil des technokratischen Machbarkeitswahns der siebziger Jahre“, erklärt etwa Bundesaußenminister Klaus Kinkel und fordert von den Kultusministern: „Damit muss Schluss sein!“ In mehreren Bundesländern werden Rechtschreib-Volksbegehren initiiert, Professoren sammeln Unterschriften, es wird geklagt. Eltern sehen ihre Persönlichkeitsrechte und die ihrer Kinder verletzt. Eine Mehrheit im Bundestag spricht sich gegen die Reform aus – ein allerdings wirkungsloser Beschluss, denn zuständig sind die Kultusminister.

Im Juli 1998, kurz vor dem Inkrafttreten der Reform am 1. August, enttäuscht Karlsruhe die Hoffnung der Gegner und schmettert eine Verfassungsbeschwerde ab. Die Richter stellen fest, dass das Grundgesetz den Eltern das Erziehungsrecht einräumt. Dem stehe in der Schule jedoch der Erziehungsauftrag des Staates gleichrangig gegenüber. Wenige Tage nach dem Urteil geht aus einer Meinungsumfrage hervor, dass 84 Prozent der Deutschen die Reform ablehnen. Schriftsteller, darunter Günter Grass, Siegfried Lenz und Martin Walser, rufen zum Boykott auf.

Günter Walraff beklagt "Schreib-Verhunzungen"

Zu diesem Zeitpunkt ist die Reform in den Schulen bereits Realität. Denn schon seit dem Herbst 1997 sind die neuen Regeln „zugelassen beziehungsweise empfohlen“. So schreiben im Sommer 1998 nach Angaben der Kultusministerkonferenz bereits mindestens 80 Prozent der Grundschüler in reformierter Schreibung. Punktabzug für „Altschreib“ soll es aber erst nach dem Ende der Übergangsfrist am 1. August 2005 geben.

Der Widerstand hält an. Die „FAZ“ kehrt im Sommer 2000 zur alten Rechtschreibung zurück, Literaturpapst Marcel Reich-Ranicki sieht in der Reform „beinahe“ „eine nationale Katastrophe“, Günter Wallraff sagt, die kaum nachvollziehbaren „Schreib-Verhunzungen“ führten zu „Verunsicherung“.

Im Jahr 2001 sind allerdings bereits 80 Prozent aller neu erschienenen Bücher in der neuen Schreibung verfasst, wie die Zwischenstaatliche Kommission mitteilt. Selbst Stichproben in Leserbriefen von Privatpersonen hätten gezeigt, dass in 66 Prozent davon schon die reformierten Schreibweisen verwendet werden. Zeitungen würden sie sogar schon zu 96 Prozent richtig anwenden.

Ein neuer Beirat wird eingerichtet, der die Rechtschreibkommission begleiten soll. Im Auftrag der Kultusministerkonferenz soll er die neuen Regeln „unter dem Gesichtspunkt der Praktikabilität und der Akzeptanz in der Sprachgemeinschaft“ ausgiebig prüfen – eine Reaktion auf die Kritik, Praktiker aus Schule, Presse und Verlagen seien an der Reform nicht beteiligt gewesen. Ab 2004 ersetzt der neue Rechtschreibrat mit 41 Mitgliedern die Zwischenstaatliche Kommission.

Das bevorstehende Ende der Übergangsfrist lässt den Widerstand noch einmal anschwellen. Der „Spiegel“ und der Springerverlag kündigen an, zur alten Rechtschreibung zurückzukehren. Ihre Chefredakteure fordern „die Beendigung der staatlich verordneten Legasthenie“.

"Vieles ist einfacher geworden"
[...]
Im August 2006 wechseln Springer und die „FAZ“ wieder zu den neuen Regeln. Dabei löst eine umfängliche Reform der Reform zusätzliche Rechtschreibverwirrung aus: Nun heißt es etwa nicht mehr Leid tun, sondern leidtun (in alter Schreibung hieß es: leid tun). Doch der Großteil der Arbeit an der Reform ist bewältigt.

Und heute? „Vieles ist einfacher geworden, weil viele Ausnahmen abgeschafft wurden“, sagt Andrea Watermeyer, Verlagsleiterin Grundschule des Schulbuchverlags der Westermann Gruppe. Schüler müssten sich nun nicht mehr lauter Sonderregelungen und Ausnahmen merken. „Heute geht es vielmehr darum, Strukturen zu verstehen, Analogien zu erkennen und sich so die korrekte Schreibung selbst herleiten zu können.“

Trotz der Rechtschreibreform haben viele Schülerinnen und Schüler mit der Orthografie jedoch Schwierigkeiten. Bundesweit erreichen 22 Prozent der Viertklässler im Schultest nicht den Mindeststandard, wie aus dem IQB-Bildungstrend hervorgeht, in Berlin sind es sogar ein Drittel. Unter den Neuntklässlern verfehlen bundesweit 14 Prozent den Mindeststandard.
[...]
Das aktuelle Regelwerk im Internet: http://www.rechtschreibrat.com

pnn.de 29.7.2018

Den Ablauf des Kultur- und Demokratie-Schurkenstücks „Rechtschreibreform“ bis 2005 habe ich hier und da etwa gleichlautend beschrieben. Weitere markante Links werde ich gelegentlich noch hinzufügen. Genug Material über dieses sinnlose Kulturverbrechen ist hier auch so in Hülle und Fülle zu finden.

Übrigens: „Der Rat will gegebenenfalls weitere Varianten zulassen“. Der „Rat“ hat gar nichts zuzulassen. Jeder kann schreiben wie er es für richtig hält. Das hat selbst das parteiische und inkompetente Bundesverfassungsgericht festgestellt.

Bei vielen Menschen, auch gerade der Schreibenden Zunft, die sich heute „reformiert“ zu Wort melden müssen, auch solchen, die einst vehemente Gegner der obrigkeitlichen Erpressung waren, ist heute das „Stockholm-Syndrom“ zu beobachten. Sie beschönigen, verharmlosen und verteidigen das Verbrechen, bei dem sie gezwungen sind, gute Miene zum bösen Spiel zu machen – und mitzumachen.


eingetragen von Norbert Lindenthal am 22.08.2004 um 14.41

Nachrichtenüberblick Schlagzeilen

22.08.2004

Rechtschreib-Kritiker gründen «Rat für deutsche Rechtschreibung»

Hamburg (dpa) - Unmittelbar vor offiziellen Vorbereitungen für den zwischenstaatlichen «Rat für deutsche Rechtschreibung» in Wien haben Reformgegner in München ein gleichnamiges Gremium gegründet.


Der Verein will sich für die Wiederherstellung der Rechtschreibung einsetzen, wie sie vor der Reform üblich war, teilte das Gremium am Sonntag mit. Zum Vorsitzenden wurde der Münchner Autor und Publizist Hans Krieger gewählt. Ehrenmitglieder sind unter anderem die Schriftsteller Elfriede Jelinek, Wulf Kirsten, Günter Kunert und Reiner Kunze.

Verwaltungsbeamte aus den deutschsprachigen Ländern beraten an diesem Montag in Wien über die Gründung und Zusammensetzung des «Rates für deutsche Rechtschreibung». Das Gremium soll 2005 die bisherige «Zwischenstaatliche Kommission» ablösen, die in den vergangenen Jahren die Umsetzung der Rechtschreibreform in ihren Ländern begleitete.

Die Vertreter aus Deutschland, Österreich und der Schweiz würden «ausschließlich über die Zusammensetzung und die Aufgaben des künftigen Rates beraten und unsere Empfehlungen dann den zuständigen Stellen vorlegen», betonte der Generalsekretär der Kultusministerkonferenz (KMK), Erich Thies. Er leitet die deutsche Delegation. Der Rat, in dem auch Reformkritiker zu Wort kommen sollen, soll die Schreibweisen in der Praxis weiter beobachten und gegebenenfalls nachbessern.

Die Gründungsversammlung des Kritiker-Rats in München sprach den Kultusministern das Recht ab, «eine weitere Rechtschreibkommission zu berufen, deren einzige Aufgabe es sein kann, das offenkundige Scheitern der Rechtschreibreform hinauszuzögern». Zu den Gründungsmitgliedern zählen auch der als Rechtschreibrebell bekannt gewordene Weilheimer Deutschlehrer Friedrich Denk, der Geschäftsführer der IG Autorinnen Autoren in Wien, Gerhard Ruiss, und der Schweizer Gymnasiallehrer Stefan Stirnemann.

Bei einer Umfrage unter den Ministerpräsidenten hätten sich nur Niedersachsen, das Saarland und Sachsen-Anhalt gegen die weitere Umsetzung der Reform nach dem bisherigen Plan ausgesprochen, berichtete das Magazin «Focus». Die KMK hatte beschlossen, dass nach sechs Jahren Übergangszeit die neuen Regeln vom 1. August 2005 in Schulen und Ämtern verbindlich gelten.

Die Ministerpräsidenten der Länder wollen am 7. und 8. Oktober in Berlin zusammenkommen und darüber beraten, ob sie an dem Zeitplan festhalten wollen. Die Kultusminister treffen sich am 14. und 15. Oktober im Saarland. Auch eine Verlängerung der Übergangsfrist ist nach den geltenden Beschlüssen möglich.

Nach Ansicht des Leipziger Forschers Harald Marx haben die neuen Schreibweisen negative Auswirkungen auf die Rechtschreibleistung. Wie der Professor am Institut für Pädagogische Psychologie der «Neuen Osnabrücker Zeitung» sagte, hätten seine Untersuchungen vor und nach der Reform gezeigt, dass es bei «ss» und «ß» teilweise sogar mehr Fehler als vorher gebe. Österreichische Autoren forderten unterdessen einen Ausstieg aus der «Zwischenstaatlichen Kommission». Stattdessen solle Österreich ein eigenes «österreichisches Deutsch» schaffen und für die «deutsche Rechtschreibreform» keinerlei Geld mehr zur Verfügung stellen.


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