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eingetragen von Sigmar Salzburg am 10.10.2018 um 06.24

Gestern saß ich, von Paderborn kommend, im Zug und hörte die Ansage, daß schon in Hannover-Linden Endstation sei. Ein Mitreisender erläuterte, vor dem Hauptbahnhof sei die Königsbrücke gesprengt worden, und ich müsse für die restliche Strecke die Straßenbahn nehmen, um meinen Anschlußzug zu erreichen.

Die Fahrt führte mich durch eine altvertraute Gegend, die ich seit vierzig Jahren nicht mehr betreten hatte. Ich war entsetzt. Hätten nicht bisweilen wilhelminische Fassaden durchgeschimmert, ich hätte glauben mögen, ich wäre in Klein-Kabul. Dicht an dicht reihten sich Läden und Dönerlokale mit afghanischen, persischen, arabischen und türkischen Inschriften. Das Volk sah auch danach aus. Mir erstarb jegliches Heimatgefühl.

Nun lese ich, der AfD-Vorsitzende Alexander Gauland habe in der FAZ einen Gastbeitrag zum Thema „Heimat“ geschrieben und der „renommierte“ Antisemitismusexperte Wolfgang Benz mit seinem hochentwickelten „Nazi“-Riechorgan darin Ähnlichkeiten mit einer Rede Adolf Hitlers von 1933 erschnüffelt, lt. Tagesspiegel:

Eine „globalistische Klasse“ gebe kulturell und politisch den Takt vor. Ihre Mitglieder fühlten sich in einer abgehobenen Parallelgesellschaft als Weltbürger, schrieb der AfD-Politiker. Ihnen gegenüber stünden „diejenigen, für die Heimat noch immer ein Wert an sich ist und die als Erste ihre Heimat verlieren, weil es ihr Milieu ist, in das die Einwanderer strömen“.

Hitler hatte in seiner Siemensstadt- Rede 1933 gegen „eine kleine, wurzellose, internationale Clique“ Front gemacht, die überall und nirgends zu Hause sei, heute in Berlin lebe und morgen in Brüssel. Das Volk aber könne ihnen nicht nachfolgen, es sei „gekettet an seine Heimat, ist gebunden an die Lebensmöglichkeiten seines Staates, der Nation“.
Bei der Beschreibung von Verhältnissen werden sich immer Übereinstimmungen finden lassen, vor allem bei Sichtweisen, wie sie in den 20er-Jahren von links bis rechts verbreitet waren. Benz' üble demagogische Absicht wird deutlich, wo er ein gefühlsbeladenes Wort wählt, um Gauland eine geradezu liebevolle Nähe zu Hitlers Text zu unterstellen. Benz:
Trotz der auffälligen Übereinstimmung von Argumentation und Diktion handelt es sich aus formal-juristischen Gründen wohl nicht um ein Plagiat. Denn nicht der Wortlaut stimmt überein, sondern „nur“ die vorgetragene Ideologie. Doch Gaulands Text ist ganz offensichtlich eng an den Hitlers angeschmiegt.
Benz' Perfidie steckt auch in seiner Betonung seiner vorgeblichen Objektivität:
Nach der Lektüre und der feierlichen Versicherung, man halte nicht alle AfD-Wähler für runderneuerte Nazis, darf man wohl doch vermuten, dass derselbe Geist weht wie einst 1933.
Den Vogel aber schießt Benz mit der religiösen Klassifizierung von Juden in der AfD ab:
Seit neuestem gibt es eine Gruppe „Juden in der AfD“. Eine Handvoll nur, deren Berechtigung, sich Juden zu nennen, einer rabbinischen Prüfung möglicherweise nicht standhält.

tagesspiegel.de 9.10.2018
Ob er dabei auch an den beamtenrechtlich unqualifizierten thüringischen Verfassungsschutzpräsidenten Stephan J. Kramer gedacht hat? – der nur aufgrund seines vorgeblichen Judentums auf diesen Posten gehievt werden konnte und auf den trotz seiner Konversion auch die Einschätzung als „Kostümjude“ passen würde, wie sie Lea Rosh von traditionell jüdischer Seite erfahren mußte.

PS: Ich kenne Benz' Forschungen nicht, bin aber nach solcher „Objektivität“ auch nicht neugierig darauf.

M. Klonovsky bemerkt Unvergleichliches und gibt verwandte Texte an ... Dazu das Neueste: Gauland soll jetzt nicht mitfühlend Hitler (*1889), sondern direkt den „Kulturwissenschaftler“ Michael Seemann (*1977) plagiiert haben – erschienen im „Tagesspiegel“ 2016 (bildblog)! Wenn das stimmt, hätte Benz' Riechkolben Seemanns Hitler-Plagiat in Gaulands FAZ-Text gewittert! – Ein übler Artikel steht auch bei heise.de 13.10.2018

Die geschwätzwissenschaftliche Unschärferelation läßt alles als möglich erscheinen.


eingetragen von Sigmar Salzburg am 05.04.2018 um 17.29

Der Schreibreformer Peter Gallmann war während der Vor-, Zwischen- und Nachbereitung der „Reform“ ein wichtiger Unsinnsstifter. In der Frühzeit dieses Forums sind ihm hunderte Einträge gewidmet (Suche). Jetzt wird er vom Dudenverlag aufgeboten, um die Katastrophe kleinzureden, die wir ohne die „Reform“ nicht gehabt hätten. Sie bekommt jetzt noch durch die Überfüllung der Schulklassen mit Migrantenkindern eine völlig neuartige Dimension – die natürlich auch wieder fast verschwiegen wird:

Tagesspiegel 03.04.2018 12:50 Uhr

Rechtschreibung „Ein Beitrag zur Chancengleichheit“

Wie steht es um die Rechtschreibung und ihre Vermittlung? Ein Gespräch darüber, warum es nicht egal ist, wie wir schreiben.

Im vergangenen Herbst veranstaltete die Dudenredaktion in Berlin eine Podiumsdiskussion zum Thema: „Warum es nicht egal ist, wie wir schreiben“. Der Dudenverlag hat diese Diskussion in einem Buch dokumentiert, das nun erschienen ist. Wir veröffentlichen einen gekürzten Auszug daraus. Teilnehmerinnen und Teilnehmer: Kathrin Kunkel-Razum, Leiterin der Dudenredaktion, Ulrike Holzwarth-Raether, Grundschullehrerin, Hochschulplanerin und Schulentwicklerin, Peter Gallmann, Professor in Jena für Deutsche Sprache der Gegenwart, Burghart Klaußner, Schauspieler.

KUNKEL-RAZUM: Immer wieder gibt es Klagen, dass junge Menschen nicht mehr rechtschreiben könnten. Stimmt das? Gibt es Studien, um das zu belegen?

GALLMANN: Es gibt Studien, aber man muss bedenken, dass über die Jahre hinweg nicht die gleiche Art Menschen gemessen worden ist. Diejenigen, die 1917 ihr Abitur gemacht haben, stammten aus einem anderen Personenkreis als die Abiturienten heute.

Ich glaube, dass die Rechtschreibbeherrschung insgesamt leicht abgenommen hat, ganz einfach auch deshalb, weil die heutigen Schüler und Schülerinnen innerhalb des Deutschunterrichts ein viel breiteres Spektrum an Fähigkeiten zeigen müssen. Früher hat man einen Besinnungsaufsatz geschrieben, das war die Leistung. Heute müssen sie ganz verschiedene Textsorten beherrschen. Da bleibt einfach weniger Zeit, um sich auf die Rechtschreibung zu konzentrieren. Rechtschreibung ist eine Anstrengung, und jede Generation muss Rechtschreibung neu und mühsam lernen.

HOLZWARTH-RAETHER: Ich beobachte in den Einschulungsgesprächen, dass die Kinder heute viel mutiger und autonomiebestrebter sind. Für diese kleinen selbstbewussten Menschen ist es schwieriger, sich an Regeln, auch Rechtschreibregeln, zu halten.
[...]

KLAUSSNER: Freunde, die Lehrer sind, erzählen mir, der Anteil von Kindern aus Migrationsverhältnissen in den Grundschulen der Arbeiterbezirke sei höher, als man sich vorstellen kann. Die Sprachbarriere steige deshalb enorm an, auch die Rechtschreibbarriere. Und das zweite Thema, auf das man sehr deutlich schauen muss, ist die Frage der Digitalisierung. Ich weiß nicht, ob Schreiben mit der Hand oder Tippen auf der Tastatur im Schulalltag heute überwiegt. Die Schreibschrift meines älteren Sohnes ist nicht besonders leserlich und die des jüngeren noch schlechter, weil sie die Schreibschrift praktisch nicht mehr anwenden.

KUNKEL-RAZUM: Welches sind die fehlerrelevantesten Gebiete bei der Rechtschreibung?

GALLMANN: Am anfälligsten ist die Zeichensetzung. An zweiter Stelle kommt die Groß- und Kleinschreibung und erst an dritter Stelle die Getrennt- und Zusammenschreibung.

Ich glaube, bei der Zeichensetzung werden zum Teil beim Unterrichten Fehler gemacht: zu früh, zu disparat, also zu kleinteilig. Die Chancen, die man bei der Vermittlung der Zeichensetzung in der Sekundarstufe II hätte, werden überhaupt nicht wahrgenommen, dort werden nur noch literarische Werke diskutiert. Die formale Seite der Sprache wird vernachlässigt – und gerade in dem Alter sind Schülerinnen und Schüler äußerst aufnahmefähig.
Gerade in der Zeichensetzung ist durch die „Reform“ viel Unheil gestiftet worden.
HOLZWARTH-RAETHER: Ein großes Problem für die Grundschulen ist, dass viele Kinder mit Sprachdefiziten, Defiziten beim Sprechen und in der Artikulation in die Schule kommen. Dafür gibt es ein Bündel an Gründen. Im Vorschulalter wird zum Beispiel heutzutage viel weniger mit den Kindern gesungen, artikuliert gesprochen und gereimt.
[...]

KUNKEL-RAZUM: Heiß diskutiert im Zusammenhang mit nachlassenden Rechtschreibleistungen wird der Ansatz in der Grundschule, die Kinder erst mal schreiben zu lassen, ohne sie zu korrigieren. Es geht um die Methode „Lesen durch Schreiben“.
[...]

GALLMANN: Gegen den Einstieg, dass man über das Schreiben auch das Lesen lernt, ist überhaupt nichts zu sagen, er funktioniert durchaus.

KUNKEL-RAZUM: Ich gebe persönlich zu, dass ich mich selber zum Teil schwer getan habe, als unser Sohn so unterrichtet wurde. Weil wir als Eltern eben nicht korrigieren sollten, um den Kindern den Spaß am Schreibenlernen nicht zu verderben.

GALLMANN: Das gehört aber gar nicht zur Methode. Nichts verbietet es den Lehrern, sorgfältig zu korrigieren.

KUNKEL-RAZUM: Warum ist denn korrekte Rechtschreibung eigentlich wichtig? Welche Konsequenzen hat es im beruflichen oder im privaten Kontext, wenn Rechtschreibung vernachlässigt wird?

HOLZWARTH-RAETHER: Ich habe auch in der Hauptschule unterrichtet und für mich war immer ein großer Auftrag, dass die Schülerinnen und Schüler dort die Chancen, die sie haben, wirklich wahrnehmen können. Das heißt, Rechtschreibung war für mich ein Beitrag zur Chancengleichheit.

Heutzutage sehe ich, wenn man von Künstlerinnen oder Künstlern eine E-Mail kriegt, dass sie nur so von Rechtschreibfehlern wimmelt – aber das ist irgendwie kreativ und man lässt es durchgehen. Aber wenn ein Hauptschüler sich mit einer fehlerhaften Bewerbung vorstellt, kann es schon sein, dass er nicht zum Vorstellungsgespräch eingeladen wird.

Die Rechtschreibung spielt eben – das ist das Verrückte – nicht bei denen eine Rolle, die es sowieso geschafft haben, sondern eher bei denen, die es nicht schaffen.

KLAUSSNER: Das ist eine absolute Herrschaftsfrage – und auch eine Zivilisationsfrage. Wer falsch schreibt, ist unten durch.

GALLMANN: Ich würde es ein bisschen praktischer sehen. Jemand, der einem anderen etwas mitteilen will, tut gut daran, die äußere Form zu optimieren, weil der Inhalt ernster genommen wird. Und genau das muss man in der Schule vermitteln.

tagesspiegel.de3.4.2018
Was hatte doch der Kultusminister Rolf Wernstedt versprochen? * „Mit der Reform sind wir 90 Prozent unserer Rechtschreibprobleme los.“* Den brachialen Beitrag dazu wollten Gallmann & Co. liefern, und haben es doch nur toll patschigen „Missetätern“ (Reich-Ranicki) gebracht:
Th. Ickler: Wenn Sie zum Beispiel die Großschreibung in „heute Abend“ usw. betrachten, müssen Sie dazu auch bedenken, was der heutige Großschreibungsfanatiker Peter Gallmann einige Jahre zuvor darüber gesagt hatte und wie fadenscheinig seine jetzigen Argumente für die Großschreibung sind. Darin folgen ihm die allermeisten Germanisten nicht, und es steht auch im Widerspruch zu den drei Kriterien für Substantive, die im Regelwerk selbst angegeben sind. Das wird sich bestimmt nicht halten lassen. hier

Es ist wiederum bezeichnend für Gallmanns Beitrag, daß er den hergebrachten Schreibbrauch kaum oder gar nicht respektiert. So hat er auch ernsthaft erwogen, die barocke Schreibweise "Freundinn" wiedereinzuführen, damit "Ausnahmen" (wie er sie versteht) beseitigt werden... Es ist schon oft darauf hingewiesen worden, daß "Leid tun" nicht die einzige anstößige Neuschreibung innerhalb der Gruppe ist. So spricht gegen "Pleite gehen", daß mit "gehen" keine Substantive, sondern Adjektive (und Partizipien) verbunden werden: "kaputt", "verloren" usw... hier
Vorgestern habe ich einen längeren handschriftlichen Text meiner Frau abgetippt. Die Konfusion einer belesenen Literaturkennerin durch den allgegenwärtigen Reformunfug war wieder hautnah spürbar.


eingetragen von Sigmar Salzburg am 02.10.2017 um 17.05

In den vergangenen 20 Jahren gab es acht Volksinitiativen

Auch wenn Berlin von Schweizer Verhältnissen noch weit entfernt ist * – die plebiszitäre Bilanz kann sich sehen lassen: In den vergangenen 20 Jahren gab es acht Volksinitiativen. Insgesamt 34 Mal wurde die Einleitung eines Volksbegehrens * beantragt, die zwölf Mal tatsächlich in ein Volksbegehren und – mit dem am Sonntag zu treffenden Tegel-Votum – sechs Mal in einen Volksentscheid mündete. Es ging dabei um eher kuriose Anliegen * wie die Rücknahme* der Rechtschreibreform in Berlin, um verkehrspolitische Großprojekte wie die Förderung des Radfahrens oder um ein Nachtflugverbot für den BER, wenn er denn einmal eröffnet wird.

tagesspiegel.de 22.9.2017


eingetragen von Sigmar Salzburg am 21.09.2017 um 09.04

Mein Deutsch, dein Deutsch

Schauderhaft kreativ: Der „Bericht zur deutschen Sprache“ beschreibt Phänomene wie das Gendersternchen und sterbende Dialekte.

von Anja Kühne

Wie geht es dem Deutschen? Aus konservativer Sicht nicht besonders gut: Die deutsche Sprache wird von Anglizismen überwuchert, der Genitiv scheint so schwer angeschlagen wie die Dialekte, und die Orthografie ist von der Rechtschreibreform verstümmelt. Zusätzlich wird das Deutsche von Randgruppen gequält: Nach dem großen I der FeministInnen muss es das Gendersternchen erdulden, Jugendliche mit Migrationshintergrund erfinden in ihrem wilden Sprach-Mischmasch eine neue Grammatik, und in der Politik werden Wahlprogramme in „Leichter Sprache“ zum Standard erhoben. Allerdings: All diese Phänomene lassen sich auch optimistisch betrachten. Dann zeugt der Sprachwandel von der großen Flexibilität der deutschen Sprache, die dank der Kreativität ihrer Sprecherinnen und Sprecher ständig reicher wird.

Verfällt die deutsche Sprache oder blüht sie? „Weil Nani hatte keine Zeit“, „wegen dem schlechten Wetter“ – solche Sätze müssten der Eleganz des Deutschen ja eigentlich keinen Abbruch tun, erklärt der Linguist Wolfgang Klein (Nijmegen). Er selbst fände solche Formulierungen aber „schauderhaft“: „Was von den Normen abweicht, die man uns in der Kindheit eingebleut oder eingebläut hat und die von den Autoritäten eingehalten werden, empfindet man als falsch, als schlecht, als hässlich, als Deppensprache; es kennzeichnet den Ungebildeten. Varietäten sind aber nie in sich selbst falsch. Sie sind nur anders als jene, die man selber hochhält.“ Klein präsentierte am Mittwoch in Berlin gemeinsam mit anderen Linguistinnen und Linguisten den „Zweiten Bericht zur Lage der deutschen Sprache“.

Die Linguistik betrachtet sich nicht als Sprachpolizistin, sie sieht es als ihre Aufgabe, die Sprache zu beschreiben: „Die letzte Normautorität ist aus dieser Sicht die Sprachgemeinschaft selbst“, erklärte der Potsdamer Linguist Peter Eisenberg. „Es macht keinen Sinn, gegen den Sprachgebrauch normativ anzustinken.“

Das Gendersternchen - ein "Willkürakt"

Eisenberg hat gleichwohl verschiedene Phänomene gesichtet, die in der Öffentlichkeit Besorgnis erregen. So geht er, ein entschiedener Gegner der Rechtschreibreform, davon aus, dass diese „dem Orthographieunterricht quantitativ und qualitativ viel Wasser abgegraben hat“, was mit ein Grund für die nachlassenden Rechtschreibfähigkeiten bei Schülern sei. Den Wunsch nach „politisch korrekter Sprache“ hält Eisenberg für eine Bevormundung. Auch geschlechtergerechte Sprache („BäckerInnen“, „Bäcker_innen“ oder „Bäcker*innen“) lässt er nicht wie andere Linguisten als nützliche Innovationen der Sprachgemeinschaft gelten. Denn hier handle es sich nicht um sprachliche Evolution, sondern um „Willkürakte“ [....]


"Er ist voll geil jetzt, macht disch rischtisch platt so, voll der Killer"

Um Zugehörigkeit zur Gruppe geht es auch beim innovativen Deutsch von Jugendlichen mit türkischem Migrationshintergrund, in der Öffentlichkeit „bald Türkendeutsch, Kanaksprak, Türkenslang oder Kiezdeutsch“ genannt, wie Norbert Dittmar (Berlin) und Yazgül Eimeek (Münster) schreiben. Der Ethnolekt unterscheide sich deutlich vom „Gastarbeiterdeutsch“ der sechziger und siebziger Jahre; er dient dazu, eine eigene Identität im Gastland der Eltern und Großeltern aufzubauen. [...]

Die „Koronalisierung des Ich-Lauts“ („disch“, „rischtisch“), die besonders von türkischstämmigen Jugendlichen benutzt werde, diene offenbar dazu, sich damit als „anders als die Mitglieder der Mehrheitsgesellschaft“ zu erkennen zu geben, er gehört zum „subkulturellen Gegengestus“, erklären Norbert Dittmar und Yazgül Eimeek. Denn während die Generation der türkischen Gastarbeiter tatsächlich Probleme mit der Aussprache des Ich-Lauts hatte, treffe dies auf die junge Generation nicht zu. [...]

„Vielfalt und Einheit der deutschen Sprache. Zweiter Bericht zur Lage der deutschen Sprache“. Hrsg. Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung/Union der deutschen Akademien der Wissenschaften 2017. Stauffenberg Verlag, 331 Seiten, 29,95 Euro.

tagesspiegel.de 20.9.2017 (gekürzt)

Eben habe ich im Wartezimmer im „Schlei-Boten“ dazu etwas gänzlich Gegenteiliges gelesen:

„Die Lage der deutschen Sprache ist sehr gut. Das oft fehlerhafte Schreiben in Chats und Messenger-Diensten beeinträchtigt das Schreiben anderer Texte aus Sicht einer Expertin kaum. Die Schreiber seien in der Lage, zu unterscheiden und ihre Sprache anzupassen, sagte die [im obigen Artikel nicht erwähnte] Sprachforscherin Agelika Storrer... (Schlei-Bote 21.9.2017)


eingetragen von Sigmar Salzburg am 14.01.2017 um 09.25

Die Tagesspiegel-Redakteurin Anja Kühne interviewt die Professorin für Grundschulpädagogik (i.R.) an der Humboldt-Universität, Renate Valtin, die auch Mitglied im Konsortium der internationalen Grundschulstudie Iglu ist. In den „Potsdamer Neuen Nachrichten“ schreibt Kühne über Fehlerstudien, die die orthographischen Leistungen der letzten Jahrzehnte vergleichen. Hier sollen nur einzelne markante Aussagen herausgegriffen werden. .


Streit um Rechtschreibung
„Das Kind nicht entmutigen“

Lehrerinnen und Lehrer sollen Fehler schon früh korrigieren, sagt die Grundschulpädagogin Renate Valtin. Aber mit Gefühl.
von Anja Kühne

Schülerinnen und Schüler sollen von Anfang an spontan schreiben, selbst wenn sie dabei Fehler machen, meint Renate Valtin.

Frau Valtin, Baden-Württembergs Kultusministerin Susanne Eisenmann (CDU) hat die Grundschullehrkräfte des Landes angewiesen, Rechtschreibfehler schon bei Schulanfängern sofort zu korrigieren. Ist das eine gute Anweisung?

Das kommt auf den Entwicklungsstand des Kindes an. Hat es noch nicht gelernt, phonetisch zu schreiben – also den Lauten Buchstaben zuzuordnen –, wäre eine Korrektur des „Wortsalats“ eine Überforderung für Kind und Lehrkraft. Kann es aber phonetisch verschriften und macht dabei orthografische Fehler, sollte man es darauf aufmerksam machen, wie die „Erwachsenen-Schreibweise“ aussieht. Allerdings sollte man das Kind nicht entmutigen. Die Hinweise müssen also gemäß der psychischen Robustheit des Kindes dosiert sein.[...]

... die umstrittene Methode „Lesen durch Schreiben“ von Jürgen Reichen ...
[...]
Alle empirischen Untersuchungen hierzu sind eindeutig negativ. Deshalb sollte man diese Methode verbieten. [...]

Manche Leute haben den Eindruck, dass Schulabsolventen heute weit schlechter in Rechtschreibung sind als frühere Generationen. Zu Recht?

Es gibt keine große Längsschnittuntersuchung, aus der wir das ersehen könnten. Ich habe nur eine anekdotische Evidenz: Wenn ich meine Studierenden früher das Kosog’sche Diktat schreiben ließ – „Tut nie unrecht, seid Ihr aber im Recht, so habt Ihr recht“ und so weiter –, hatten sie schon in drei Sätzen so viele Fehler wie die Leute achtzig Jahre vorher im ganzen Text. Allerdings hat die Rechtschreibreform inzwischen ja vieles leichter gemacht....

[Eigene Anmerkung: Nach den in diesem Forum über 18 Jahre geführten Untersuchungen kann diese Einschätzung nur auf einer unangemessenen Überbewertung minimaler Vorteile für Frühkläßler beruhen, die es nicht rechtfertigen, in die gewachsene kulturelle Tradition einer 100-Millionen-Schreibgemeinschaft einzugreifen.]

Was die Grundschule betrifft, so zeigen die Rechtschreibtests von Iglu 2001 und 2006, dass sich die Leistungen sogar signifikant verbessert haben. Insgesamt ist mir allerdings die Betonung des Themas Rechtschreibung in der bildungspolitischen und didaktischen Diskussion in Deutschland völlig unverständlich. International spielt die Beherrschung der Rechtschreibung so gut wie gar keine Rolle. Stattdessen wird zu Recht die Förderung der wichtigen Kompetenzen Lesen und Schreiben als Verfassen von Texten betont...

tagesspiegel.de 9.1.2017

Rechtschreibung
Bei den Methoden herrscht in der Schule Vielfalt

von Anja Kühne

Alphabetisierung. Die meisten Lehrerinnen und Lehrer setzen vermutlich verschiedene Methoden parallel ein.

Die Lehrkräfte haben beim Unterrichten der Rechtschreibung viele Freiheiten. Doch sie müssen Ziele erreichen.

Die meisten Bundesländer stellen es den Lehrkräften frei, mit welchen Methoden sie den Kindern das Schreiben beibringen. Die Lehrkräfte sollen so ausgebildet sein, dass sie die Methoden je nach Unterrichtssituation und Lerntyp auswählen. Die Berliner Schulverwaltung erklärt, die umstrittene Methode von Jürgen Reichen „Lesen durch Schreiben“ (siehe Interview) sei mit den Berliner Rahmenlehrplänen nicht vereinbar. Danach sollen schon Erst- und Zweitklässler Regeln ausprobieren und anwenden.

Das einzige Land, in dem sich die Lehrkräfte an der Reichen-Methode orientieren sollen, ist das Saarland. Allerdings hat die Kultusministerkonferenz 2015 eine Empfehlung abgegeben, wonach „das Kind ausgehend von seinen lautorientierten Verschriftungen von Anfang an systematisch an das orthografisch korrekte Schreiben herangeführt“ werden soll, also nicht nach Reichen gelernt werden soll.
Die meisten Lehrkräfte kombinieren verschiedene Methoden
[...]

Ein Drittel verfehlt bei der Rechtschreibung die Regelstandards

Ob Viert- und Neuntklässler die Bildungsstandards in Rechtschreibung erreichen, wird im IQB-Ländervergleich getestet. Beim letzten Test im Jahr 2011 lag etwa ein Drittel der Schüler unter dem Niveau der Regelstandards – ebenso wie beim Test der Neuntklässler von 2015.
Ob die Schülerinnen und Schüler die Rechtschreibung vor Jahrzehnten besser beherrschten, lässt sich nach Auffassung des Mercator-Instituts nicht sicher sagen. So ergab 2006 ein Vergleich der Leistungen von 200 Kindern in Düsseldorfer Grundschulen mit Schülerleistungen von vor 20 und 40 Jahren, dass die Kinder sich nicht grundsätzlich verschlechtert haben. Eine andere Studie, in der Leistungen von 976 Kindern aus den Jahren 1972, 2002 und 2012 verglichen wurden, stellte hingegen eine deutliche Verschlechterung fest. Die Ergebnisse solcher Studien seien „mit Vorsicht zu interpretieren“, schreiben die Forscher. Schließlich müsse bei einem Vergleich von Schülerleistungen über Jahrzehnte hinweg „die Veränderung der Lebenswelt, des Unterrichts und der späteren Arbeitswelt berücksichtigt werden“. In der Schule werde heute mehr auf kreatives Schreiben Wert gelegt als auf Rechtschreibung – „auch wenn die gesellschaftlichen Erwartungen hierzu im Konflikt stehen“.

pnn.de 10.1.2017


eingetragen von Sigmar Salzburg am 18.12.2016 um 15.11

„Rechtschreibfehler von Anfang an korrigieren“

In Baden-Württemberg sollen ab sofort Schreibanfänger orthographisch korrigiert werden. Freiere Methoden dürfen die Schulen nicht mehr praktizieren.

Baden-Württemberg will das „freie Schreiben“ in der Grundschule verbieten. Die weit verbreitete Methode, nach der Erstklässler in der ersten Klasse Wörter so schreiben dürfen, wie sie sie aussprechen, ziehe zu viele Fehler bei der Rechtschreibung nach sich und sei „nicht mehr zu praktizieren“, erklärte Kultusministerin Susanne Eisenmann (CDU) am Freitag.

Reaktion auf schlechtere Ergebnisse im Leistungsvergleich

Ab sofort müsse darauf geachtet werden, dass die Schülerinnen und Schüler von Anfang an korrekt schreiben. Das sei auch eine Konsequenz aus dem schlechten Abschneiden beim Ländervergleich des Berliner Instituts zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen (IQB). Nach der aktuellen, im Oktober veröffentlichten Studie waren Baden-Württembergs Neuntklässler in Deutsch und Englisch im bundesweiten Vergleich zurückgefallen – mit Defiziten auch bei der Rechtschreibung. In fast allen anderen Ländern lag Niveau der Schüler bei der Orthografie aber über dem von 2008...

tagesspiegel.de 17.12.2016

... aber deutlich schlechter, als vor vierzig Jahren, nachdem kurz zuvor die erste Rechtschreibreform von einem einsichtigen Kultusminister verhindert worden war.


eingetragen von Sigmar Salzburg am 16.08.2016 um 07.07

Auch der Berliner Tagesspiegel kommentierte die 20 Jahre Rechtschreib„reform“, lenkte aber ins belanglose Allgemeine ab:

Denken und Sprache, die unsere Identität ausmachen, hängen unauflöslich zusammen. Schärfe, Klarheit, Ausdrucksvermögen brauchen ein Mindestmaß an Form. Ein Kommentar von Peter von Becker
Bemerkenswert ist nur der Hinweis auf ein durch Stefan Stirnemann herausgegebenes Werk:
Dieser Tage kann man in der Berliner Verlagsreihe „Die Andere Bibliothek“ in zwei schönen Bänden Eduard Engels „Deutsche Stilkunst“ wiederentdecken. Nach 85 Jahren. Denn Engels einstiges Standardwerk war zuletzt 1931 in der 31. Auflage erschienen, später haben die Nazis den jüdischen Autor verfemt und vergessen gemacht. Engel schrieb im Kapitel „Sprachschulmeisterei“: „Gemeinsam ist allen Sprachschulmeisterern die Taubheit gegen das ewig fließende, ewig sich wandelnde Leben der Sprache im Munde lebendiger redender Menschen.“
tagesspiegel.de 14.8.2016
Es ist aber stark anzunehmen, daß sich Eduard Engel dabei nicht das jetzt in Deutschlands sozialen Brennpunkten entstehende Kiez-Deutsch vorgestellt hat.


eingetragen von Sigmar Salzburg am 12.08.2016 um 09.52

"Neue" Rechtschreibung ist für manche noch immer ein Gräuel

Für manche Deutschen hat die Rechtschreibreform ihren Schrecken auch nach 20 Jahren nicht verloren. Die allermeisten Neuerungen haben sich aber durchgesetzt.

[Typisch Lügenpresse: Die Neuerungen wurden von ebendieser Presse durchgesetzt! ]

von Amory Burchard

Herr Eichinger, der Beginn der Rechtschreibreform liegt 20 Jahre zurück und noch immer haben viele nicht ihren Frieden mit den „neuen“ Schreibweisen gemacht. Überrascht Sie das?

Rechtschreibung ist ja etwas, das wir uns in bestimmter Weise angeeignet haben und mit dem wir uns lebenslang beschäftigen. Da tut man sich mit Veränderungen schwer [besonders, wenn sie wenn sie willkürlich und nichtsnutzig sind]. Die Reform von 1996 wurde auch nicht sehr glücklich durchgeführt. Es gab anfangs zu wenige Kompromisse mit dem bisherigen Schreibgebrauch. Manche Menschen haben den Schrecken von damals bis heute nicht verloren.

Der Rat für deutsche Rechtschreibung, dem Sie angehören, beobachtet seit der verbindlichen Einführung der Reform in den Schulen im Sommer 2006 den Schreibgebrauch. Was hat sich durchgesetzt und was nicht?

Eigentlich haben sich die meisten Dinge durchgesetzt. Auch wenn es öffentlich zum Teil anders dargestellt wird: Die Veränderung der s-Schreibung (dass statt daß) machen alle mit – bis auf statistisch unbedeutende Ausreißer.

[Das bewirken die hierarchische Erpressung und die Automatenkorrekturen. Freiwillig hätten sich nicht so viele dieser überflüssigen und traditionsfeindlichen Änderung unterworfen.]

Dass viele gleichwohl Probleme haben, das als Artikel oder Pronomen mit einem s und dass als Konjunktion mit Doppel-s zu schreiben, hat nichts mit der Reform zu tun. Hier besteht ein traditionelles grammatisches Problem weiter.

Zu Verwirrung führen auch die seit 2006 geltenden Änderungen der Reform, wonach es etwa nicht mehr Leid tun heißt, sondern leidtun – im Gegensatz zum früheren leid tun. Was denn nun, fragen die Leute.

In den vom Rechtschreibrat untersuchten Textsammlungen haben sich diese Neuerungen sehr weitgehend durchgesetzt.
[Durchsetzungsforschung! ]
Aber es gibt ähnliche Konstellationen, in denen der Gebrauch stark schwankt. Schreiber, die anheimstellen oder überhandnehmen getrennt schreiben wollen, erkennen dabei noch das Heim und die Hand . Die Meinung im Rat ist, dass man solche Fälle eher liberal handhaben und in der Schule nicht mehr unbedingt als Fehler anstreichen sollte. Was gar nicht funktioniert hat, ist oft die Integration, also die Eindeutschung, von Fremdwörtern: Praktisch niemand schreibt Vademekum oder Büfett. Hier wollen wir die „alte“ und die „fremde“ Schreibweise, also Vademecum und Buffet wieder zulassen.

[Weil der Rat die Kulturverbrechen „rau“ oder „dass“ nicht antasten darf, muß der „40-Köpfige“ nun mit Korinthenkackerei Wichtigkeit vortäuschen. Als Lateiner wäre mir „Vademekum“ nie eingefallen – abgesehen, daß ich es in 70 Jahren auch nie gebraucht habe. Meint Eichinger „an Heim stellen“ ernst? ]

Wie sieht es bei der vereinfachten Komma-Setzung aus? Herrscht dabei tatsächlich eine allgemeine Verunsicherung, von der häufig die Rede ist?

Dafür gibt es keine perfekte Lösung. Immer schon überlagern sich bei der deutschen Kommasetzung das grammatische Prinzip – teile Nebensätze ab – und das inhaltliche Prinzip, mit dem wir Zusammenhänge darstellen. Daran hat sich durch die Reform nichts geändert. Aber einige Fälle sind der schreiberischen Gestaltung freigestellt, etwa das Komma zwischen Hauptsätzen mit und. Der Rat will sich jetzt ansehen, ob man die Regeln systematischer darstellen kann.

Beobachten Sie Unterschiede zwischen den Textarten, die Sie untersuchen, also etwa zwischen gedruckten Schulbüchern, Belletristik und Online-Texten?

In Schulbüchern ist die Reformschreibung bundeseinheitlich durchgesetzt. Die Verlage haben sie ja selber mit beschlossen und wirken im Rat mit. Die Belletristik aber ist frei, gesetzmäßig gilt die neue Rechtschreibung nur für die Schule und für die Amtsschreibung. Literarische Texte leben davon, dass sie orthografisch eigenwillig sind. Autorinnen oder Autoren, die darauf bestehen, in alter Rechtschreibung zu erscheinen, können das bei ihren Verlagen durchsetzen.[längst nicht immer! ]
[...]

Wie sehen Sie die Sonderregeln, denen Zeitungen folgen? 2007 hat unter anderem die „FAZ“ erklärt, der Einheitlichkeit zuliebe die reformierte Rechtschreibung endgültig zu übernehmen, aber „Unsinnigkeiten“ wie platzieren und Stängel nicht mitzumachen, sondern weiterhin plazieren und Stengel zu schreiben.

Hausorthografie-Regelungen sind intern sinnvoll, wenn es dem konservativen Selbstverständnis widerspricht, jede Änderung mitzumachen. Das ist symbolisches Handeln, wobei die Zeitungen dabei keineswegs konsequent sind.

[Solche Abweichungen werden bei derDurchsetzungsforschung des Rates schlicht ausgeklammert. Konsequenter als die FAZ schreiben vermutlich die „junge Welt“, „Konkret“ und „Ossietzky“ durchgängig traditionell und verwenden nur zur Tarnung seit 2014 die ss-Regel. Die „Junge Freiheit“ und die vielen konservativen Publikationen, auch im Internet, werden auch aus politischen Gründen ausgegrenzt. ]
[...]

Wie geht es weiter mit der Rechtschreibreform: Was wird als Nächstes geändert?

Ganz große Änderungen sind nicht mehr zu erwarten. Ambivalenzfälle sind die große Aufgabe für die Zukunft des Rechtschreibrats. Wir beobachten die Schwankungen im Sprachgebrauch und geben Empfehlungen zu Varianten: Wenn du konservativ bist, schreib es so, wenn du progressiver erscheinen willst, so. Unter anderem werden wir der Kultusministerkonferenz im Oktober empfehlen, bestimmte Großschreibungen bei festen Begriffen wie der Große Lauschangriff in vernünftiger Weise im Regelwerk zuzulassen. Da ist die Regel bislang zumindest unklar, jetzt soll solch eine Schreibung auch als ein Normalfall gelten.

Das Gespräch führte Amory Burchard.

Ludwig M. Eichinger (66) ist Direktor des Instituts für Deutsche Sprache in Mannheim und Mitglied im Rat für deutsche Rechtschreibung... Foto: Promo/Backofen Mannheim

tagesspiegel.de 12.8.2016

Der „Große Lauschangriff“ ist aktuell wohl das Wichtigste, was dem anpassungsfähigen* Professor einfallen konnte. – Es bleibt festzuhalten: Die Rechtschreib„reform“ war das seit 1945 größte Kultur-Schurkenstück gegen den Willen der deutschen Mehrheit! Das ist aber inzwischen nicht mehr der einzige Grund, alle dafür verantwortlichen Parteien abzuwählen.


eingetragen von Sigmar Salzburg am 18.10.2015 um 04.51

Messerangriff auf Henriette Reker
Pegida hat in Köln mitgestochen

14:57 Uhr Von Martin Niewendick [Ex-Jungle-World]
Die OB-Kandidatin Henriette Reker wird am Wahlkampfstand schwer verletzt. Das ist auch das Ergebnis der Hetze fremdenfeindlicher Gruppen.
tagesspiegel.de 17.10.2015

retweetet: Ralf Stegner 17. Okt. 2015

Diese Logik ist infam, aber im Tagesspiegel nicht mehr selten. Die Überschrift erinnert mich an einen BILD-Titel anläßlich der Rettung der Verschütteten von Lengede 1963 durch eine Erdbohrung: Gott hat mitgebohrt

Vielleicht hat hier „Gott“ mitgestochen, wie bei den Islamisten. Nach Presseberichten soll der Täter ausgerufen haben:


„Ich rette den Messias. Das ist alles falsch, was hier gemacht wird. Ich befreie euch von solchen Leuten.“
welt.de 18.10.2015

Nachtrag: Siehe dagegen Klonovsky.


eingetragen von Sigmar Salzburg am 25.04.2015 um 08.08

Was darf Schule?

In Köpenick ist eine Musiklehrerin des Emmy-Noether-Gymnasiums von einem Unbekannten angezeigt worden. Sie hatte mit ihren Schülern im Unterricht das verbotene Horst-Wessel-Lied durchgenommen. Die Staatsanwaltschaft ermittelt nun wegen des „Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen“.

Was ist an dem Gymnasium passiert?

Der Vorwurf lautet: Die Musiklehrerin habe die Elftklässler [also reifere Schüler] aufgefordert, das Lied zu singen und Marschieren zu imitieren. Aus Sicht der Schule und der Lehrerin stellt sich das anders dar: Die Schüler sollten den Rhythmus „mit dem Fuß erfassen und die Melodie mitsummen“.

Thema des Unterrichts war „Lieder im Dienste politischer Propaganda“. Die musikwissenschaftliche Analyse des Wessel-Liedes habe zur Vorbereitung auf eine Klausur gedient, in der es um das Lied „Der Kälbermarsch“ von Bertolt Brecht und Hanns Eisler gehen sollte. Der „Kälbermarsch“ ist eine 1943 entstandene Parodie auf das Horst-Wessel-Lied. Der Schulleiter sagt, die Schüler bestätigten die Darstellung der Lehrerin. Sie habe klar darauf hingewiesen, dass das Lied verboten sei und sie es zu Studienzwecken analysierten.
tagesspiegel.de 16.4.2015

Inzwischen ist das Verfahren eingestellt.

Ein guter Unterricht verwendet Parodien gerne, denn sie erhellen den Geisteszustand der Zeit oft mehr als ermüdende Greuelberichte. Dazu muß man aber das parodierte Original einigermaßen kennen.

Wir haben hier übrigens auch eine Parodie des Horst-Wessel-Lieds (von Hans Flachs) veröffentlicht, die die Rechtschreib„reform“ aufs Korn nimmt. Schließlich war auch sie ja ein beliebtes Naziprojekt, das noch im Bombenhagel des Krieges vorangetrieben und danach von den verbliebenen Reformern in die Gegenwart „gerettet“ wurde.


eingetragen von Sigmar Salzburg am 25.07.2014 um 07.30

Schavans Jubelprofessoren
von Anja Kühne
[...]
Bruno Bleckmann, der für Schavans Plagiatsverfahren zuständige Dekan der Philosophischen Fakultät, hat die 73-seitige Dokumentation am 7. Juli dem Akademischen Senat der Universität vorgetragen und dort verteilt.

MPG-Chef Gruss insinuiert, die Arbeit werde zu streng bewertet

Das Papier, das dem Tagesspiegel vorliegt, gibt weitere Einblicke in die Vorgänge. Bekannt wird damit ein Brief, den Peter Gruss, der damalige Präsident der Max-Planck-Gesellschaft, an den Fakultätsrat geschrieben hat, nämlich am Tag vor der Entscheidung darüber, ob die Fakultät nach der Vorprüfung von Schavans Dissertation („Person und Gewissen“, 1980) das Hauptverfahren eröffnen will. Vor dem Hintergrund, dass die Max-Planck-Gesellschaft sich selbst als Elite der deutschen Wissenschaft betrachtet, ist die Stoßrichtung ihres Präsidenten besonders erstaunlich. Obwohl zu diesem Zeitpunkt schon klar ist, dass Schavans Arbeit überprüft werden sollte (die zahlreichen Fundstellen, die ein Plagiatsjäger im Internet dokumentiert, legen das nahe, ebenso wie die durch den „Spiegel“ veröffentlichte Dokumentation Rohrbachers), insinuiert Gruss, die Dissertation drohe zu streng und mit falschen Maßstäben bewertet zu werden.

„Das Verfahren wird auch außerhalb Deutschlands mit großem Interesse verfolgt“, lässt er den Fakultätsrat am 21. Januar 2013 wissen und fordert „insofern“ „eine differenzierte Betrachtung“ von Schavans Arbeit: „Das schließt meines Erachtens eine Berücksichtigung der Zitationskultur des jeweiligen Faches sowie der technischen Arbeitsmethoden im Jahr 1980 und davor mit ein. Zumal nicht die wissenschaftliche Aussage der vorgelegten Dissertation, sondern der berichtende Teil von den Plagiatsvorwürfen betroffen ist.“ Gruss schließt mit der Warnung: „Vor dem Hintergrund der Berichterstattung in den Medien kann ich Sie als Mitglieder des Fakultätsrats nur darin bestärken, alles zu tun, um die Wissenschaft und wissenschaftliche Prinzipien nicht zum Spielball politischer Interessen werden zu lassen.“

Das Gericht bescheinigte Schavan "arglistige Täuschung"

Schavan hat aber keineswegs versehentlich einige Fußnoten vergessen, wie sie Schülern noch im April erklärte („Südwestpresse“ vom 10. April). Das Gericht hatte ihr im März „arglistige Täuschung“ bescheinigt. Es dokumentierte 60 Fundstellen, keineswegs nur im „berichtenden Teil“ der Arbeit. Von „handwerklichen Fehlern“ könne keine Rede sein. Da es eine Verjährung für Plagiate in Dissertationen aus guten Gründen nicht gebe, sei Schavan der Doktorgrad zu Recht aberkannt worden. Ebenfalls nicht überzeugen ließ sich das Gericht von dem nicht nur von Gruss vorgetragenen Argument, in der Erziehungswissenschaft habe man vor 35 Jahren seine Zitate aus anderen Werken nicht durchgängig belegt (hier das gesamte Gerichtsurteil).

Wusste Gruss es wirklich nicht besser? Oder könnte es sein, dass nicht wie von ihm angedeutet der Fakultätsrat in Gefahr war, „zum Spielball politischer Interessen“ zu werden, sondern er selbst, wie sein Brief nahelegen könnte? Die von ihm verfolgte Strategie, das Verfahren durch wolkige Anspielungen ins Zwielicht zu bringen, ist für Schavans Unterstützer aus der Wissenschaft typisch. Mit dieser Methode hatte nicht zuletzt die Allianz der zehn großen Wissenschaftsorganisationen versucht, den Gang des Verfahrens zu beeinflussen – wie Gruss, unmittelbar bevor an der Uni die Entscheidung über die Eröffnung des Hauptverfahrens anstand. Vier Tage vor dem Termin verschickt die Allianz eine „Gemeinsame Erklärung“ an die Presse. Darin suggeriert sie, die Düsseldorfer würden „in der Wissenschaft übliche Verfahrenselemente“ ignorieren, „wie das Mehraugen-Prinzip, die Trennung von Begutachten, Bewerten und Entscheiden sowie eine angemessene Berücksichtigung des Entstehungskontextes“ aus fachwissenschaftlicher Perspektive.

Obwohl diese Darstellung inhaltlich falsch war und auch nie belegt wurde, wurde sie im Anschluss immer wieder in Umlauf gebracht – auch von Berlins früherem Wissenschaftssenator Jürgen Zöllner¹ in der „Zeit“ und noch unmittelbar vor dem Gerichtsurteil wiederum in der „Zeit“ vom damaligen Vorsitzenden des Wissenschaftsrats, Wolfgang Marquardt.

tagesspiegel.de 25.4.2014

¹) Zöllner, als Bildungs- und Wissenschaftsminister in Rheinland-Pfalz Schavans Amtskollege seit 1995 und mit ihr an der Durchsetzung der Rechtschreib„reform“ beteiligt.


eingetragen von Sigmar Salzburg am 16.01.2014 um 12.00

Der Platz vor dem Schloss soll nach Nelson Mandela benannt werden

Fast alle wollen es und der Bezirk Mitte könnte es – deshalb dürfte ein Platz vor dem Schloss in wenigen Jahren nach dem Freiheitskämpfer und großen Versöhner Nelson Mandela benannt werden. Jedenfalls stößt der Vorschlag der Stiftung Zukunft Berlin, über den der Tagesspiegel gestern berichtete, auf viel Zustimmung.

Nelson Mandela hat nichts für Deutschland geleistet und außerdem mit terroristischen Mitteln seine Ziele verfolgt. Die geschätzten 20.000 Toten sollten eigentlich eine Ehrung in unserem Land ausschließen. Nicht nur Margret Thatcher hat ihn einen Terroristen genannt. Und – gibt es etwa einen Mahatma-Gandhi-Platz in Deutschland, benannt nach dem bedeutendsten Vertreter der Gewaltlosigkeit?

Einen, der wieder an der Spitze von Zeitgeist und „Fortschritt“ marschiert, kennen wir schon:


Auch der frühere Bildungssenator Jürgen Zöllner unterstützt die Initiative: "Mandela steht für die gegenseitige Achtung der Menschen untereinander und für die Chance, die Unterschiedlichkeit als Bereicherung anzusehen." Mit der Benennung eines Platzes nach dem Freiheitskämpfer und Versöhner werde die Intention der Bundesrepublik Deutschland deutlich: Dass das Humboldtforum eben auch als Symbol für ein "neues, anderes Miteinander in der Welt" stehe ....
tagesspiegel.de 11.1.14

Dann müßten doch ebenso Ulrike Meinhof, Gudrun Enßlin und Andreas Baader einen Platz oder eine Straße erhalten. Auch sie waren Freiheitskämpfer, wenn auch nur für eine kleine Minderheit. Sicher hätten auch sie gerne nach ihrem Sieg die großen Versöhner gespielt. Werden wir demnächst eine Denis-Cuspert/Deso-Dogg-Straße kriegen, benannt nach dem Berliner „Freiheitskämpfer“ gegen Syriens Assad?

Auch John F. Kennedy und Salvador Allende gehören nicht auf deutsche Straßenschilder, mag der eine ehrenwert gewesen sein und der andere sich zum „Berliner“ ernannt haben. Die Hervorhebung ausgewählter Exoten verfolgt ausnahmslos ideologische Ziele, und solche möchte ich grundsätzlich nicht in Platz- und Straßennamen verewigt sehen.


(geä. 17.01.)


eingetragen von Sigmar Salzburg am 21.11.2013 um 08.08

Heidi Klum unterbrach Vorlesung an der Humboldt-Uni

Das Model Heidi Klum hat mit seinem Fernsehteam eine Psychologie-Vorlesung besucht - mit Genehmigung der HU. Jetzt fragen Studierendenvertreter, warum die Uni-Leitung dann Workshops zu Bondage und Drag von Studierenden behindert


Heidi Klum darf keine weiteren Vorlesungen an der Humboldt-Uni stören. HU-Präsident Jan-Hendrik Olbertz sagte am Dienstag im Akademischen Senat, solchen Besuch zu empfangen gehöre nicht „zu den Aufgaben einer Universität“. Vor zwei Wochen war das Model mit einem Fernsehteam in einer Psychologie-Vorlesung erschienen. Klum ließ sich dort mit einer Studentin filmen, die sich in einem Bewerbungsverfahren für Klums Fernseh-Show „Germany’s Next Top Model“ qualifiziert hat...

Im AS weideten Studierendenvertreter den Vorfall genüsslich aus. Schließlich hat das Präsidium gerade eine Veranstaltung des „Referats für Lesben, Schwule, Bisexuelle, Trans* und Inter“ der Studierendenschaft verhindert, indem es sich weigerte, Räume unentgeltlich bereit_zu_stellen: für Workshops mit praktischen Übungen zu Bondage (Fesselung zur sexuellen Stimulation) und Drag („Männer“ in „Frauen“-Bekleidung). Die Studierendenvertretung sieht dies als Teil des studentischen Lebens und als zu einer theoretischen Beschäftigung mit diesen Themen gehörend.
tagesspiegel.de 19.11.2013

Die „junge Welt” glossiert (in bewährter Rechtschreibung) den Vorfall unter dem Titel:

Affenfelsen des Tages: Humboldt-Universität
jungewelt.de 21.11.2013

Uni-Präsident Jan-Hendrik Olbertz war seinerzeit bekanntlich vom Affenfels Kultusministerkonferenz an die Uni geflüchtet, nachdem er sich genötigt gefühlt hatte, beim Affentanz „Rechtschreibreform“ mitzumachen.


eingetragen von Sigmar Salzburg am 06.03.2013 um 21.18

Deutsch lebt
... Am Freitag stellten sie [vier Sprachwissenschaftler] gemeinsam den ersten „Bericht zur Lage der deutschen Sprache“ in Berlin vor. Darin haben sich die Sprachforscher mit der öffentlichen Besorgnis über den „Verfall“ des Deutschen auseinandergesetzt und Entwarnung gegeben.
Seit der Rechtschreibreform in den 1990er Jahren ist das Interesse an Sprachregeln gestiegen. Skeptiker sprechen vom Verlust des deutschen Formenreichtums …
tagesspiegel.de 3.3.2013

Der Bericht gleicht dem Welt-Artikel v. 2.3.13

Der markierte Satz erinnert an die Freude des Ex-Kultusministers Zehetmair über das infolge der „Rechtschreibreform“ zugenommene Interesse an der deutschen Sprache, das FAZ-Leser Dr. Gerhard Eber ( F.A.Z. v. 6.8.2003) sehr treffend glossiert hat:


Die Freude darüber, daß die Rechtschreibreform zu einer intensiveren Beschäftigung mit der deutschen Sprache geführt habe, gleicht der Freude eines Museumswärters darüber, daß ein Verrückter Salzsäure über ein Rubens-Bild geschüttet hat, weil man sich nun doch immerhin intensiver mit Rubens beschäftige.

(Das Rubens-Bild „Höllensturz der Verdammten" wurde 1959 in der Münchener Pinakothek von einem Psychopathen übel zugerichtet.)

Nachtrag: Die Feuilletons drucken gläubig die Einlassungen der Wissengschaftlhuber nach. Allein Thomas Paulwitz in der „Jungen Freiheit“ läßt sich nicht jeden Unsinn aufbinden:

Der Lagebericht ist als wissenschaftlicher Bericht getarnt. Doch schon bei der Vorstellung ließ der Germanist Peter Eisenberg die Maske fallen, indem er seine Absichten verriet, und die sind alles andere als wissenschaftlich: Man hoffe, drohte Eisenberg, daß künftig nicht mehr jeder ungestraft jeden Unfug über den vermeintlichen Sprachverfall verbreiten könne…

Auch Eisenberg langt kräftig daneben, zum Beispiel mit dieser Behauptung: „Ein Soldat in der Armee von Kaiser Wilhelm konnte gerade mal seinen Namen schreiben.“ Dem Potsdamer Sprachwissenschaftler ist entgangen, daß die kaiserliche Feldpost während des Ersten Weltkrieges etwa 28,7 Milliarden (!) Briefe und Karten beförderte. Es ist nicht nur unwahrscheinlich, sondern auch leicht zu widerlegen, daß die Soldaten in diesen Briefen lediglich Bilder malten und nur ihren eigenen Namen hineinschrieben. Wahrscheinlich war die Schreibschrift der Soldaten häufig sogar sauberer, deutlicher und schöner als es diejenige sein kann, welche sich die Opfer der „Vereinfachten Ausgangsschrift“ heute aneignen.
JF 9.3.2013


eingetragen von Sigmar Salzburg am 13.01.2012 um 09.39

Wulff, Guttenberg & Co
Anleitung zum Unfähigsein

Wulff, zu Guttenberg, Rösler: Die Stunde der Dilettanten hat geschlagen. Blender haben Hochkonjunktur – vor allem in der Politik.

Dass die Dilettanten von dem, was sie tun, meist nichts verstehen, weiß jeder Dilettant und hält es den anderen gern vor. „Dilettant“, reimte Paul Heyse Ende des 19. Jahrhunderts, „heißt der kuriose Mann. / Der findet sein Vergnügen daran, / Etwas zu machen, was er nicht kann.“ Dass es auch etwas gibt, das die Dilettanten sehr wohl beherrschen, wird leicht übersehen. Dabei ist genau das, die Kunst, sich und der Welt etwas vorzumachen, ihr Metier. Erfolgreiche Dilettanten sind Meister der Blendung.
In der Politik können sie es weit bringen, was nicht heißen soll, dass jeder Politiker ein gewiefter Dilettant sein muss …

Auch die Diktatoren des 20. Jahrhunderts waren Hochstapler, die ihr Unvermögen durch die Selbstüberhebung zu kompensieren versuchten.

Immer dann, wenn er sich mit der Macht verbindet, wird der Dilettantismus zur Bedrohung. Aus den einfältigen Versagern werden professionelle Dilettanten. Wo sie erfolgreich sind, hat die Gesellschaft am Ende auszubaden, was sie in ihrer Selbstüberschätzung ahnungslos anrichten, gleich, ob sie als Banker die Einlagen ihrer Kunden verspielen, sich als Politiker mit einer Rechtschreibreform am Kulturgut der Sprache vergreifen oder ob sie einen Rettungsschirm nach dem anderen aufspannen, weil sie meinen, einmal gemachte Schulden ließen sich mit noch höherer Verschuldung aus der Welt schaffen.

Stets wissen die Dilettanten, was sie gern wollen würden. …
Werden wir hier schlichtweg für dumm verkauft oder sind die Politiker bereits derart überfordert, dass sie sich selbst zum Narren halten müssen? …

Der intellektuelle Selbstzweifel jedoch ist die Sache der Dilettanten nicht. Vielmehr sind sie fachlich enthemmte Tatmenschen…

Die harmlosen Pfuscher, die sich einst von Paul Heyse verspotten lassen mussten, sind sie schon lange nicht mehr. Ihr weltpolitisches Vabanquespiel hat nichts mehr zu tun mit den ironischen Provokationen des Hochstaplers Felix Krull.

Thomas Rietzschel lebt als freier Autor in der Nähe von Frankfurt/Main. Anfang Februar erscheint im Zsolnay Verlag sein Buch „Die Stunde der Dilettanten. Wie wir uns verschaukeln lassen“ (256 S., 17, 90 €).

tagesspiegel.de 4.1.2012

Während der Literatur-Nobelpreisträger Paul Heyse (1830-1914) inzwischen fast vergessen ist, wurde eine Idee seines Großvaters Johann Christian August Heyse (1764-1829) exhumiert und zum „Herzstück“ der jetzigen ss-Reform gemacht, obwohl weder Sohn noch Enkel ihr folgen wollten. Sie war für die Frakturschrift entwickelt worden, wo sie weniger Schaden angerichtet hätte.

Nebenbei: Das Wort „Dilettant“ hatte ursprünglich keine abwertende Bedeutung, sondern benannte (v. ital. „dilettare, dilettarsi“ erfreuen, sich erfreuen) einen unprofessionellen Liebhaber einer Kunst. Das kann niemals auf die Kulturapparatschiks zutreffen, die die „Rechtschreibreform“ verbrochen haben.


eingetragen von Sigmar Salzburg am 21.09.2011 um 16.29

Gysi kann Boykott der "Jungen Welt" nicht durchsetzen.
… Die Linke hat zur „Jungen Welt“, zu DDR-Zeiten Organ der FDJ, seit Jahren ein gespaltenes Verhältnis. Für die einen gilt das vom Verfassungsschutz beobachtete Blatt mit einer Auflage von rund 17000 Exemplaren als parteinah …
Ex-Parteichef Oskar Lafontaine spielte die Mauer-Ausgabe als „Satire“ herunter. Gysi drohte eine Abstimmungsniederlage.
tagesspiegel.de 21.9.2011

Lafontaines Meinung wurde hier auch vertreten. Der ständige öffentliche Hinweis auf den Verfassungsschutz erinnert daran, daß dieser hauptsächlich der Denunziation und Einschüchterung dient. Pressefreiheit sieht anders aus.


eingetragen von Sigmar Salzburg am 06.07.2011 um 06.15

Einer Abstimmung der Schulferien mit den Semesterferien gab Zöllner dagegen keine Chance: „In meiner Politikerlaufbahn habe ich nichts erlebt, dass so konfliktbesetzt und umkämpft war wie die Rechtschreibreform – und die Verlegung der Schulferien. ...“

Tagesspiegel ‎3.7.2011


eingetragen von Sigmar Salzburg am 30.05.2010 um 08.56

Ansprache hilft

Zahlreiche Projekte und Angebote fördern Schüler beim Lesen und Schreiben


Erst steht das Lernen der Buchstaben auf dem Stundenplan, dann folgen die Laute. Schnell bilden Kinder die ersten Wörter und beginnen Schritt für Schritt zu schreiben und zu lesen. „Sie sind neugierig und versuchen, schon früh alleine zu lesen“, berichtet Grundschullehrerin Gudrun Kolmar, die an der Deutsch-Polnischen Europaschule Deutsch und Kunst unterrichtet. Nach dem Wissensstand der Schüler füllt sie Lesekisten mit Unterrichtsmaterialien. Gelernt wird mit Texten, Ratespielen und Lesekarten zum Ankreuzen. Wichtig sei, dass die Schüler viel üben und auch zu Hause lesen.

Ein altersentsprechender Wortschatz, korrekte Grammatik sowie Sprach- und Lesekompetenz sind der Schlüssel zum Wissenserwerb. Schüler mit Lese- und Schreibschwierigkeiten verstehen häufig Textaufgaben falsch und können Diktaten nur schlecht folgen. Da das Regelwerk der Deutschen Sprache [?] für viele Schüler eine große Herausforderung ist, sind Eselsbrücken gefragt: Wörter werden in einzelne Silben zerlegt und die sogenannten „Tiger-Wörter“, deren Endung wie ein „a“ lautet, aber „er“ geschrieben wird, werden im Klassenraum an ein unübersehbares langes Band geklebt. „Wichtig sind Schreibaufgaben zu Themen, die Kinder interessieren und motivieren, mit Sprache umzugehen“, erklärt Petra Wieler, Erziehungswissenschaftlerin und Professorin an der Freien Universität. Fehler beim Schreiben seien ganz natürlich, da Kinder erst die Abstraktion von der mündlichen Sprache lernen müssen. Hörkassetten, Erzählprojekte und Bücher unterstützen ebenfalls den Erwerb der Schriftsprache.

Ergänzend zum Deutschunterricht veranstalten viele Grundschulen Projekte, nutzen die Angebote von Vereinen und greifen auf ehrenamtliche Unterstützung zurück. So organisiert die Grips-Grundschule anlässlich des Internationalen Literaturfestivals in Berlin eine Leseprojektwoche, die mit einer Lesung eines Schriftstellers und einer Ausstellung der Kinder endet. Die Nürtingen Grundschule nutzt ihre Bibliothek und veranstaltet in Kooperation mit dem Verein Lesewelt Berlin Vorlesestunden für Kinder. Auf das Internet muss bei der Leseförderung nicht verzichtet werden. So setzen Schulen das Onlineportal Antolin vom Schroedel Verlag ein, das mit interaktiven Fragen die Auseinandersetzung mit Buchinhalten fördert.

Außerhalb der Schule bietet der Verein Lesart – das Berliner Zentrum für Kinder und Jugendliteratur – ein breites Programm an. Zu entdecken sind Gedichte, Geschichten, Lieder, Theaterstücke und Zeitungen. In eigene Worte umgesetzt, stärken sie die Ausdrucksfähigkeit der Schüler. Besonders erfolgreich ist das ausgezeichnete Projekt „WortStark“, das die Stadtbibliotheken Friedrichshain-Kreuzberg und Mitte 2002 starteten. Die Bibliothekare hatten erkannt, dass Vorlesestunden nicht reichen und vor allem Kindern aus Migrantenfamilien nicht gerecht werden. Laut Katrin Seewald, der Leiterin der Kreuzberger Else-Ury-Bibliothek, konnten viele Kinder den Geschichten nicht folgen, weil ihnen Wörter fehlten. Mit pädagogischer Unterstützung entwickelten sie deshalb ein neues Programm für Kinder von zwei bis zwölf Jahren.

Die Ergebnisse der Berliner Leselängsschnittstudie des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung zeigen, dass der Wortschatz eines Kindes eine wichtige Rolle für die Entwicklung der Lesekompetenz spielt und diese wiederum die Wortschatzentwicklung stärkt. Die 2006 abgeschlossene Studie belegt, wie auch die letzte Internationale Leseuntersuchung IGLU, dass der soziale Status der Herkunftsfamilie entscheidend für die Entwicklung des Kindes ist.

Eine Ergänzungsstudie zu IGLU 2006, in deren Rahmen die Rechtschreibleistungen von über 8000 Kindern am Ende der vierten Klasse getestet wurden, verdeutlicht, dass die Schüler überwiegend Schwierigkeiten bei der Rechtschreibung haben. Die Rechtschreibreform hat nach Peter May vom Hamburger Landesinstitut für Lehrerbildung und Schulentwicklung keine Erleichterung für unsichere Schüler gebracht. Da die fehlenden Kompetenzen in den weiterführenden Schulen kaum aufgeholt werden könnten, empfiehlt May, Schüler individuell zu fördern. Nachhilfeunterricht oder Lerntherapien außerhalb der Schule können helfen, die Lücken zu schließen.

Auf die Lese- und Rechtschreibschwäche spezialisiert haben sich die Lehrinstitute für Orthographie und Schreibtechnik (LOS). Von insgesamt 200 Standorten sind sechs in Berlin. Um die Bedürfnisse der Kinder zu ermitteln, beginnt jede Förderung erst einmal mit einem Test. Schüler von der ersten bis zur elften Klasse können ihre Rechtschreibung auch in einem von Peter May entwickelten Test im Internet überprüfen (unter http://www.dideon.de).
Katja Gartz

tagesspiegel.de 29.05.2010


eingetragen von Sigmar Salzburg am 26.03.2010 um 22.00

"Oben in der Kiffer-Loge – irgendwelche Wünsche?"

Der Nachtpilot geht wieder an den Start: Für Tagesspiegel.de belebt Thomas Lackmann seine Kolumne über das nächtliche Berliner Kulturleben neu. Diesmal: Vom Kleinen Tiergarten über den Festungsgraben zum Pariser Platz.

Von Thomas Lackmann
22.3.2010 12:13 Uhr

Als der Nachtpilot an diesem frühen Abend in Berlins kleinste Straße einbiegt, muss er aufpassen, die Moabiter Heilandskirche am Rande des schmuddeligen Kleinen Tiergartens nicht zu verpassen. Ihre winzige Adresse im Herzen des migrationshintergründigen Quartiers heißt Thusnelda-Allee. … Die Conference Rainald Grebes, der mit Gorki-Schauspielern unter dem Titel „Zurück zur Natur“ sein „Konzert für Städtebewohner“ zelebriert, verrührt Selbst-Ironie, satirische Publikumsanspitzung und gebrochene Neoromantik: „Oben in der Kiffer-Loge – irgendwelche Wünsche?“ … Hier ist, vor dem sarkastischen Biß und danach, sogar ein Quentchen echte Sehnsucht erlaubt. … „Den ganzen Tag ist gedreht worden, für ein paar Filmminuten“ sagen Mitarbeiter der Akademie, denen es leid tut, daß ihre Gute Stube unauffhörlich für dies und das vermietet und vollgeramscht wird. … Eigentlich habe man als Denkmal der Einheit längst dies schöne Brandenburger Tor. Schade, denkt der Pilot, dass Quax sich davongemacht hat, so grandios kann Berlin sein, wo man`s nur lässt. Heimflug.

Tagesspiegel 22.3.10

Schade, daß Thomas Lackmann nicht noch mehr alte Schreibweisen verwendet hat.


eingetragen von Sigmar Salzburg am 27.11.2009 um 10.18

Senat verspricht Studierenden mehr Geld>

Wie sehr ähnelt die Berliner Wissenschaftspolitik der der autoritären Volksrepublik China? Diese auf den ersten Blick absurde Frage zog sich am Donnerstag wie ein roter Faden durch die Debatte über die Politik vor allem von Wissenschaftssenator Jürgen Zöllner (SPD). Beantragt hatte die Aktuelle Stunde zum Thema Bildung die CDU. Deren scheidender Abgeordneter Frank Steffel warf in seiner Abschiedsrede dem Senat vor, durch seinen Umgang mit den Universitäten „bürgerliche und liberale Eliten aus der Stadt zu vertreiben“….

tagesspiegel.de 27.11.09

Zöllner ist das letzte Fossil der Direktverantwortlichen für die „Rechtschreibreform“. In den anderen Bundesländern beziehen diese längst ihre unverdiente fette Ministerpension und sind schon von Aussitzern der zweiten oder dritten Generation abgelöst worden. In der „Zeit“ hatte er sich schwach selbstkritisch geäußert, ohne daß das in seiner Politik einen nennenswerten Niederschlag gefunden hat:


Zöllner: … Dem Ruf der Kultusministerkonferenz war sicher auch abträglich, dass wir uns ohne Not die Rechtschreibreform ans Bein gebunden haben.
ZEIT: Weshalb haben Sie das denn gemacht?
Zöllner: Wir haben, ich schließe mich da ein, vollkommen unterschätzt, wie die Öffentlichkeit auf dieses Thema reagiert. Es ist ja eigentlich kein politisches Thema. Wir wollten lediglich die Reformvorschläge der Fachleute absegnen und haben uns letztlich einen riesigen Streit eingehandelt.

DIE ZEIT, 07.02.2008 Nr. 07


eingetragen von Sigmar Salzburg am 18.11.2009 um 10.36

Studienreform: Niemand will’s gewesen sein
Die schlecht gemachte Studienreform ist nicht vom Himmel gefallen. Die Studierenden verbitten sich Anbiederungsversuche von denen, die für die Probleme verantwortlich sind. Heute verlagert sich der Protest aus den Hörsälen auf die Straße. Die große Demonstration steht an. Ist die Studienreform noch zu retten?
tagesspiegel.de 17.11.09

Ein Anonymus „derfalkner“ hat daruntergeschrieben:
Verantwortlich sind in der Tat wieder mal so gut wie "alle", die in den 90ern was zu entscheiden hatten. Denn ernstzunehmender Widerspruch gegen den Quatsch regte sich, genau wie bei der Rechtschreibreform, erst als es zu spät war.

1996 war es nicht zu spät, 2004 nicht, und jetzt ist auch nicht zu spät. Es fehlt nur am Willen und Format derjenigen, die an den Schalthebeln sitzen.


eingetragen von Norbert Lindenthal am 22.03.2009 um 10.02

Tagesspiegel 22.3.2009 0:00 Uhr

Cornelsen übernimmt Dudenverlag
Cornelsen übernimmt die Traditionsreihen Duden und Meyers. Langenscheidt und die Familie Brockhaus treten 90 Prozent der Aktien an den Schulbuchverlag ab.

Die traditionsreichen Verlage Duden und Meyers haben einen neuen Eigentümer. Die Berliner Verlagsgruppe Cornelsen steigt bei deren Muttergesellschaft, der Bibliographischen Institut & F.A. Brockhaus AG in Mannheim, ein. Cornelsen wird neuer Haupteigentümer und erwirbt insgesamt rund 90 Prozent der Aktien, teilte das Institut mit. Hintergrund sei, dass die Langenscheidt KG ihre Anteile von 76 Prozent verkaufe. Die Familie Brockhaus veräußere zudem ihre Anteile von 15 Prozent. „Strategisch ist das eine wunderbare Allianz“, kommentierte Verlagsvorstand Ulrich Granseyer in Mannheim den Eigentümerwechsel. Der Verlag Cornelsen, spezialisiert auf den Schulbuch- und Bildungssektor, beschäftigt nach eigenen Angaben rund 2700 Mitarbeiter und hat einen Umsatz von über 300 Millionen Euro. (Tsp)

(Erschienen im gedruckten Tagesspiegel vom 22.03.2009)


eingetragen von Sigmar Salzburg am 30.07.2008 um 05.11

Rechtschreibreform

Zehetmair erwägt Änderungen

Es könnte mal wieder Korrekturen bei der deutschen Rechtschreibung geben. Dafür spricht sich zumindest Hans Zehetmair, der Vorsitzende des Rechtschreibrates, aus.

MÜNCHEN - Zehn Jahre nach dem Start der Rechtschreibreform an deutschen Schulen erwägt der Vorsitzende des Rechtschreibrates, Hans Zehetmair (CSU), weitere Korrekturen. "Änderungen sind möglich. Wir werden uns mit den Wörterbuchverlagen unterhalten, ob sie in der nächsten Ausgabe einzelne Änderungen übernehmen", sagte Zehetmair dem "Münchner Merkur" (Mittwochsausgabe). Dies sei allerdings ein ganz normaler Prozess. Ein Augenmerk hat der Rat für deutsche Rechtschreibung unter anderem auf die Eindeutschung von Fremdwörtern. "Ich denke da etwa an die "Spaghetti" ohne "h"", sagte Zehetmair.

Insgesamt sei die Rechtschreibreform sicher nicht verfehlt. "Wenn, dann kann man die Frage stellen, ob die Reform überhaupt hätte gemacht werden sollen. Das ist aber Schnee von gestern." Forderungen aus der Schweiz nach weitreichenden Korrekturen sieht Zehetmair gelassen entgegen. "Ich selbst werde daran nicht mehr beteiligt sein. Sie können mir glauben: Noch einmal nehme ich diese Qual nicht auf mich", sagte der CSU-Politiker der Zeitung. Zehetmair will den Vorsitz des Rechtschreibrates bis 2010 behalten. Der Vorsitz habe zu den größten Herausforderungen seiner politischen Laufbahn gehört: "Wenn ich es nüchtern betrachte, war es wohl die verantwortungsvollste Aufgabe." (sg/dpa)

Der Tagesspiegel online 29.7.2008
http://www.tagesspiegel.de/politik/deutschland/Rechtschreibreform;art122,2582233

1. »Achtung, Deutsche, jetzt schreibt man Spaghetti ohne „h“« (=Spadschetti) spottete schon vor fast genau 12 Jahren der Corriere della Sera über die deutsche Rechtschreibreform.

2. „... die verantwortungsvollste Aufgabe“ seiner politischen Laufbahn:
Nein, das war der Augenblick, in dem er als Kultusminister mit einem einzigen Nein die ganze „Rechtschreibreform“ hätte zum Scheitern bringen können. Aber da hat er jämmerlich versagt – wie seine verbohrteren oder dümmeren Kollegen auch.




– geändert durch Sigmar Salzburg am 30.07.2008, 19.25 –


eingetragen von Sigmar Salzburg am 13.06.2008 um 20.07

GfdS-Studie

»Wie denken die Deutschen über ihre Muttersprache …

Einiges war früher sogar schlechter. Zum Beispiel konnten im Jahr 1957 nur 36 Prozent der Bevölkerung das Wort „Lebensstandard“ richtig schreiben, heute sind es 56 Prozent. Das schwierige Wort „Rhythmus“ bringen heute 30 Prozent richtig zu Papier, 1957 waren es nur elf Prozent. Hauptsächlich liegt das am allgemein gestiegenen Bildungsgrad. Stichwort Rechtschreibung: 55 Prozent der Befragten sind gegen die Rechtschreibreform, und selbst von denen, die dafür sind, stimmen 54 Prozent der Aussage zu: „Durch die Rechtschreibreform weiß man bei vielen Wörtern gar nicht mehr, wie sie richtig geschrieben sind.“ Das will Germanist Hoberg jedoch nicht als Qualitätsurteil über die Reform gelten lassen: „Ich glaube, die Menschen hatten immer schon Schwierigkeiten mit der Rechtschreibung und projizieren das auf die Reform – dabei sind davon nur zwei Prozent der Wörter betroffen.

Tagesspiegel 13.062008
http://www.tagesspiegel.de/weltspiegel/;art1117,2550696


Alles Schwindel. Es geht ja nicht um die Anzahl der betroffenen Wörter, sondern im Durcheinander der „Reform“ auch um solche, die betroffen sein könnten oder es zeitweise waren. Im übrigen hat Peter Eisenberg in der FAZ v. 28.3.03 zum Umfang der Änderungen durch die „Rechtschreibreform" ausgeführt:

So ist das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil zur Zulässigkeit eines Eingriffs in die gewachsene Rechtschreibung (Juli 1998) von einer Änderungsrate ausgegangen, die bei 0,5 Prozent des Wortschatzes liegt.

Unsere Auswertung der Rechtschreibwörterbücher ergibt dagegen eine Rate von über zwei Prozent, dazu kommen knapp ein Prozent durch Beseitigung des „ß" nach Kurzvokalbuchstabe („Fluss" statt „Fluß") sowie etwa sechzehn Prozent durch Neuerungen bei der Silbentrennung. Insgesamt sind damit fast zwanzig Prozent des Wortschatzes betroffen.



eingetragen von Norbert Lindenthal am 18.12.2007 um 08.27

Zitat:
Ursprünglich eingetragen von Sigmar Salzburg
[Wir erinnern uns: Gegenüber dem Volksbegehren gegen die „Rechtschreibreform“ in Schleswig-Holstein mußten doppelt soviele Unterschriften beigebracht werden, waren die Auslegestellen und -zeiten stark verringert – alles Verstöße gegen die demokratische Gleichbehandlung. Schließlich wurde auch die Werbung für die Unterschriften behindert, ein Werbespot mit Manfred Krug verboten und erst einen Tag vor Ablauf der Frist durch Gerichtsentscheidung wieder zugelassen. Auch in Bremen wurde das Begehren des Volkes von der Stadtregierung mit solchen antidemokratischen Tricks zum Scheitern gebracht.]


Zweierlei Maß in der »Demokratie«.

Wenn für Europa in Berlin gewählt wird, werden die Stimmenanteile aus den abgegebenen gültigen Wählerstimmen ermittelt. Wenn ein Volksbegehren in Berlin ausgezählt wird, werden die Stimmenanteile an der Zahl der Wahlberechtigten ermittelt.

Die Volksbegehrensstimmen zum Stopp der Rechtschreibreform hätten in Berlin mit dem Europawahlmaßstab einen Anteil erreicht, den die großen Parteien sich nur wünschen können, aber nicht erreichen. Mit dem Volksbegehrensmaßstab sehen dieselben »großen« Parteien zu, wenn das Volksbegehren als durchgefallen erklärt wird.

Laßt Euch nicht hinter das Licht führen, sondern nehmt es selbst in die Hand.
__________________
Norbert Lindenthal


eingetragen von Sigmar Salzburg am 17.12.2007 um 21.41

Riskantes Spiel
Tempelhof: Ein rekordverdächtiges Volksbegehren setzt sich Ziele, die wohl kaum erreichbar sind


Ulrich Zawatka-Gerlach
18.12.2007 0:00 Uhr
Das Volksbegehren zum Flughafen Tempelhof ist das erfolgreichste Plebiszit, das bisher in Berlin stattgefunden hat. Bis zum Wochenende wurden 114 510 Unterschriften gezählt und damit der alte Rekord, eine Aktion gegen die Rechtschreibreform (1999: 106 080 Stimmen) gebrochen. Trotzdem bleibt das Ziel der spektakulären Volksbefragung nebulös. …

http://www.tagesspiegel.de/berlin/;art270,2441057

Wir erinnern uns: Gegenüber dem Volksbegehren gegen die „Rechtschreibreform“ in Schleswig-Holstein mußten doppelt soviele Unterschriften beigebracht werden, waren die Auslegestellen und -zeiten stark verringert – alles Verstöße gegen die demokratische Gleichbehandlung. Schließlich wurde auch die Werbung für die Unterschriften behindert, ein Werbespot mit Manfred Krug verboten und erst einen Tag vor Ablauf der Frist durch Gerichtsentscheidung wieder zugelassen. Auch in Bremen wurde das Begehren des Volkes von der Stadtregierung mit solchen antidemokratischen Tricks zum Scheitern gebracht.


eingetragen von PL am 20.08.2006 um 13.17

Anmerkung zu Jens Mühlings „Enthüllung“, welche im Tagesspiegel am 16. Tag dieses Monats erschien. Darüber schrieb ich bereits am 13. Tag dieses Monats in diesem Forum etwas zur allgemeinen Belustigung. Selbst durch die Konsultation der „Wikiblödia“ hätte einjeder Wißbegierige auf diese „Runen-Problematik“ aufmerksam werden können; aber, wie nicht anders zu erwarten war, wurde diese in ihr vermerkte behutsame Anregung zu weiterführenden genealogischen Studien stracks entfernt – wahrscheinlich im Sinne einer fürsorglichen Bevormundung.*

Nicht erst seitdem ich weiß, daß der berühmte Schriftsteller Adolf Muschg auf seiner Schreibmaschine ein großes „B“ tippte, um das auf der Tastatur fehlende „SZ“ (ß) zu schreiben, weiß ich von der Existenz der „Runen-Problematik“. Nein, schon Jahrzehnte vorher beschäftigte mich dieses Problem, als hoffnungslos in ältere Mädchen verliebter Jüngling zunächst, sodann als Liebhaber gebrochener Schriften und Herzen.

*Sie lautete wie folgt: „Günter Grass (eigentlich: Günter Graß; * 16. Oktober 1927 in Danzig-Langfuhr) ist ein deutscher Schriftsteller, Bildhauer, Maler und Grafiker“ etc.


eingetragen von Sigmar Salzburg am 20.08.2006 um 08.56

Das S-Wort

Eine ENTHÜLLUNG von Jens Mühling

Nach der Selbstoffenbarung des Literaturnobelpreisträgers Günter Grass sehen Deutschlands Intellektuelle immer mehr scheinbare Gewissheiten in Zweifel gezogen. So erklärte gestern ein anonymer Germanist, auch Grass’ vehemente Ablehnung der Rechtschreibreform müsse im Lichte seiner Waffen-SS-Mitgliedschaft neu bewertet werden. Der Wissenschaftler wies schlüssig nach, Grass habe die Reform des Regelwerks vor allem deshalb zu verhindern getrachtet, weil die weitgehende Ersetzung des Buchstabens ß durch den Doppelkonsonanten ss ein „biografisches Trauma des Schriftstellers berührt“ habe. Aus demselben Grund habe Grass seine Enthüllung auch in der „FAZ“ publik gemacht, weil diese, so der Germanist, „bis heute sz schreibt, wo die SZ ss schreibt“.

In diesem Zusammenhang wies der Germanist auf einen am Tag der Enthüllung veröffentlichten Kommentar des „FAZ“-Herausgebers Frank Schirrmacher hin, in dem dieser erklärt hatte, Grass sei entgegen der üblichen Waffen-SS-Gepflogenheiten zwar nicht mehr tätowiert worden, weil dafür die Zeit gefehlt habe, dennoch trage er bis heute „das Mal“ der SS an sich. Der Literaturwissenschaftler bezichtigte Schirrmacher in diesem Zusammenhang der „Verbreitung gefährlichen Halbwissens“. Er verwies auf die Tatsache, dass Günter Grass 1927 in Danzig unter dem Namen Günter Graß geboren wurde. Nachforschungen des Germanisten zufolge kam es dann 1944 an der Ostfront zu folgendem Wortwechsel zwischen Grass (zu diesem Zeitpunkt noch Graß) und Heinz Harmel, dem Kommandeur der SS-Panzer-Division Frundsberg:

Harmel: „Panzerschütze Graß, Sie haben die Wahl: Tätowierung – oder Namensänderung!“

Graß: „Keine Tätowierung, Herr Gruppenführer! Gegen Tinte bin ich allergisch!“

Unter massivem Druck, erklärte der Germanist, habe sich „SZ-Graß dann in SS-Grass umbenannt“. Die Enthüllung löste unter Intellektuellen im In- und Ausland kontroverse Reaktionen aus. Frank Schirrmacher schrieb in einem neuerlichen „FAZ“-Kommentar, er nehme „mit Verdruß zur Kenntniß“, dass Grass „nunmehr auch in linguistischer Hinsicht nicht mehr das Gewißen dieser Nation“ sei. „SZ“-Chefredakteur Hans Werner Kilz entgegnete, auch für ihn sei die Affäre „eine grosze Enttäuschung“. Der Rat für deutsche Rechtschreibung erklärte, die Enthüllung werde „mitnichten zu einer Rücknahme der Reform“ führen.

Dies hatte zuvor der polnische Staatspräsident Lech Kaczynski gefordert, der zudem die Umbennung von Günter Grass’ Geburtsstadt Danzig (polnisch: Gdansk) in „Aouiea“ (deutsch: Stadt ohne Konsonanten) ankündigte. Als „Zugeständnis an die internationale Gemütslage“ erklärte der Rat für deutsche Rechtschreibung: „Verhandelbar ist eine Umbenennung der Waffen-SS in Waffen-ß.“ Ein namhafter deutscher Osteuropaforscher kündigte unterdessen weitere Enthüllungen über Grass in einer „großangelegten Studie über kaschubische Zischlaute“ an. Des Weiteren stellte ein Berliner Journalist die Frage: „Darf man über so was eigentlich Gloßen schreiben?“

Tagesspiegel online 16.08.2006


http://www.tagesspiegel.de/politik/archiv/16.08.2006/2716606.asp

[Eine Glosse für Spätmerker. 1996 mußte ich meinen Wagen ummelden. Die Dame in der Kfz-Meldestelle sagte mir sogleich ungefragt, mit dem Blick auf meine Initialen: „Kennzeichen mit SS geben wir hier nicht heraus, mit SA auch nicht.“ Das erstaunte mich sehr, denn ich hatte gerade die staatlich betriebene ss-Reform kennengelernt. Dieser Widerspruch ist von mir seither zur Genüge glossiert worden. Dennoch haben beide Regelungen bis heute amtliche Geltung.]
__________________
Sigmar Salzburg


eingetragen von PL am 13.07.2006 um 06.00

Das Forum des Tagesspiegels wird geschlossen

Zitat:
Liebe Nutzer dieses Forums,

Journalismus darf keine Einbahnstraße sein. Deshalb können seit einigen Tagen alle Artikel von Tagesspiegel Online direkt und unkompliziert kommentiert werden. Dies betrifft sowohl die Texte der gedruckten Ausgabe als auch die Artikel der Online-Redaktion, es gilt für Texte aus den Ressorts Politik oder Berlin ebenso wie für Texte aus den Bereichen Kultur, Sport, Wirtschaft oder Vermischtes.

Diese neue "Kommentarfunktion" macht einen unmittelbaren und schnellen Meinungsaustausch zu den jeweils aktuellen Themen möglich. Neue Threads eröffnen sich sozusagen im Minutentakt - immer dann, wenn die Redaktion einen neuen Text ins Netz stellt.

Aus diesem Grund werden wir das "alte" Tagesspiegel- und meinberlin.de-Forum im Laufe des 13. Juli 2006 stilllegen. Dabei werden nicht nur alle Themen und Einträge gelöscht sondern auch alle User-Accounts.

Wir sind überzeugt davon, dass wir Ihnen mit der Möglichkeit, Artikel direkt zu kommentieren, einen guten, ja einen besseren Ersatz für den Meinungsaustausch in diesem Forum bieten werden.

Wir wollen uns bei allen Usern dieses Forums für die vielen, anregenden Diskussionen bedanken und freuen uns auf Ihre Kommentare in den Artikeln von Tagesspiegel Online und meinberlin.de

Grüße,
Die Online-Redaktion

Quelle


eingetragen von PL am 10.07.2006 um 14.29

Paulas letzter Beitrag im Forum des Tagesspiegels

Am siebten Tag dieses Monats sendete ich Paula folgende persönliche Nachricht, die ich hiermit ohne Skrupel veröffentliche, als Auszeichnung ihrer intellektuellen Rechtschaffenheit:

Zitat:
Liebe Paula!

Ich danke Dir für Deine vielen guten Beiträge. Wenige Menschen denken so klar und richtig wie Du. Seit langem habe ich mich in diesem Forum nur noch als stiller Leser aufgehalten. Da nun die Zensur des Tagesspiegels ihre Wirkung völlig entfaltet hat, werde ich hier künftig keine Zeit mehr verschwenden.

Ich bitte Dich um die Erlaubnis, Deinen letzten Beitrag im Forum des VRS (Verein für deutsche Rechtschreibung und Sprachpflege e.V.) veröffentlichen zu dürfen.

Alles Gute und Liebe wünscht Dir

Peter Lüber

Basel

Die von mir Angesprochene hat nun offenbar ganz und gar resigniert. Auf eine Entgegnung ihrerseits wage ich nicht mehr zu hoffen. Deshalb gebe ich ihren letzten, im Forum des Tagesspiegels verfaßten, und inzwischen gelöschten, Beitrag wieder. Er lautete wie folgt:

Zitat:
Ich meine, dass der Tagesspiegel hier bei der Neuordnung dieses Forums nicht dem eigenen Anspruch genügt und versagt hat.

Natürlich hat der "Tagesspiegel" hier das Hausrecht, allerdings hätte ich von einer Zeitung dieser Art nicht unbedingt erwartet, dass er mit "Heiapopeia"-Themen wie "Rauchen in der Öffentlichkeit" versucht, hier eine Themenzensur durchdrückt und dass auch noch verkauft mit dem Etikett, das sei das, was die Menschen bewegt. Man könnte fast meine, auch die Redakteure der Tagesspiegel-Redaktion leben in einer Art "Parallelgesellschaft". Man kommt sich mehr und mehr hier wie bei Honni vor. Gnädig wird einem dann mitgeteilt, man könne ja "Themenvorschläge" einreichen - in fast jedem demokratischen Forum kann man Themen selbst einstellen - das ist die Idee des Internet. Nun, das ist offenbar hier nicht gefragt. Stattdessen darf man dann Themen "einreichen". Für so etwas braucht man kein Forum, da kann man dann gleich die gedruckte Ausgabe, die durch sämtliche redaktionelle Zensurabteilungen gegangen ist, kaufen. Wozu dann noch ein Forum? Ein Forum, in dem die Themen vorgegeben werden, in dem jeder zweite Beitrag gelöscht wird, weil ein über das Ziel hinausschießender Redakteur meint, es dürfe nur das sein, was auf seinem ideologischen Wunschzettel steht und was in seinem politisch-korrektem Katechismus steht, den er rauf- und runterbeten kann? (Bin schon gespannt, ob dieser Text länger als zwei Stunden hier steht).

Habe vor einiger Zeit aufgehört, den Tagesspiegel zu kaufen. Werde jetzt auch das Lesen (und Schreiben) im Tagesspiegel einstellen.

Danke sehr, aber ich dachte, die Honni-Zeiten mit dem ideologischen Ringel-Piez sehenden Auges in die Katastrophe wanken - das sei ein für alle Mal vorbei. Denkste.

Macht's jut,

Paula

Ein Verweis, der nirgendwohin mehr führt.


eingetragen von Norbert Lindenthal am 09.07.2006 um 06.29

Der Tagesspiegel, Tagesspiegel online (09.07.2006)

Sind umfangreiche Reformen in unserem Land überhaupt notwendig?

Jeder oft nur kurzzeitig durch Wahlerfolg zu Macht gelangte Politiker fühlt sich offenbar dazu berufen, eine Reform vom Zaun zu brechen. Trotz mangelnder Reformerfahrung scheint sein Glaube unerschütterlich, er könne ein langfristig gewachsenes System (sofern es so etwas überhaupt noch gibt nach all der Reformerei) durch ein am grünen Tisch ausgedachtes und ausgehandeltes System ersetzen, welches besser sei als das alte.

Hochschulreformen (70er Jahre), Schulreformen, Rentenreform, Rechtschreibreform, Hartz IV und diverse Gesundheitsreformen beweisen im Ergebnis das Gegenteil. Keine dieser Reformen hat ein grundsätzlich besseres System als das vorangegangene bewirkt. Viele Reformen wurden im Lauf weiterer Reformmaßnahmen zurückentwickelt, oft bis in die Nähe des Ausgangszustands. Dafür haben alle Reformen viel Geld gekostet. Eklatantes Beispiel sind die wegen mangelnder Voraussicht unerwarteten Mehrkosten von Hartz IV. Und jetzt die Gesundheitsreform?

Bei Reformentscheidungen im Parlament sind die sachlichen Fragestellungen wegen Ihres Umfangs vom Parlamentarier in der Regel schwer zu übersehen und treten gegenüber den politischen Ambitionen der Akteure oft weit in den Hintergrund.

Was ist das reformerische Ergebnis? Ein Großteil der ursprünglichen Probleme existiert nach wie vor oder ist durch neue Probleme ersetzt. Das beweist die Serie von Gesundheitsreformen, wo doch eine Reform für lange Zeit genügen und wirken sollte. Reale und langfristig wirksame Reformerfolge sind verhältnismäßig selten.

Das Bedürfnis federführender Politiker, sich mit umfassenden Reformversuchen zu profilieren, muss endlich zu Gunsten kleiner, überschaubarer und im Detail wirksamer gesetzlicher Änderungen zurückgestellt werden. Auch die Parlamentarier hätten dann mehr Gelegenheit, wirklich zu erfassen und zu beurteilen, worüber sie bei einer Gesetzesänderung abstimmen sollen.

Die Devise muss also endlich heißen: "Evolution statt Revolution."

Bernhard Lehmann, Berlin-Tempelhof

Sehr geehrter Herr Lehmann,

Sie erklären zu Recht, dass „Reformen“, die am grünen Tisch ausgedacht und vom Zaun gebrochen werden, langfristig wenig bewirken und viel kosten. Aber folgt daraus, dass sich die Parlamentarier bloß auf Trippelschritte konkreter Gesetze beschränken sollen, weil sie die komplexen Sachverhalte nicht durchschauen oder gar mit ihren politischen Ambitionen zuschütten?

Der Reformwahn, der seit einem Vierteljahrhundert reife Industrieländer und auch Deutschland gepackt hat, ist sicher beklagenswert. In erster Linie jedoch haben bürgerliche Zirkel und Wirtschaftsexperten seit einem Vierteljahrhundert einen marktradikalen, wirtschaftsliberalen Feldzug gegen den Sozialstaat geführt. Dem haben die politischen Entscheidungsträger zu wenig widerstanden.

Das Ergebnis ist beklagenswert: Erstens der selbsterzeugte Zeitdruck, der in nächtlichen Sitzungen handwerklich mangelhafte Resultate hervorbringt, die fortwährende Nachbesserungen erzwingen. Zweitens die Verflechtung plausibler Lösungswege mit politischen Optionen und dem Blick auf die Machtbalance. In einer großen Koalition drittens die tendenzielle Ausschaltung des Parlaments durch die Parteichefs, während Vetospieler aus den Bundesländern die Machtzentren direkt beeinflussen.

Viertens die Neigung der Regierungen, sich weniger vor den Wählerinnen und Wählern zu rechtfertigen, als viel mehr vor Fachkommissionen, Expertenkreisen, vor den Wünschen transnationaler Unternehmen oder globaler Finanzmärkte, die sich als 5. Gewalt in der Demokratie aufspielen. Sechstens die Verbreitung von Fehldiagnosen etwa eines beispiellosen Globalisierungsdrucks, dramatischer demografischer Veränderungen oder des Arbeitsmarkts als Schlüsselgröße für Wachstum und Beschäftigung. Siebtens das normative Aufladen politischer Lösungsvorschläge. Während die Bevölkerung den Zusammenhang von Gerechtigkeit und Gleichheit ziemlich eng sieht, fordern die Parteispitzen, das Volk solle sich von der Verteilungsgerechtigkeit verabschieden. Da die Talente und Anstrengungen der Individuen unterschiedlich sind, gebühre der Leistungs- und Tauschgerechtigkeit ein Vorrang vor der Bedarfsgerechtigkeit und der Solidarität.

Solche Defizite der Diagnose, zustimmungsfähiger normativer Überzeugungen und politischer Umsetzung haben Reformen zu einem „Unwort“ werden lassen. Reine Veränderungen, ohne dass etwas Besseres aus ihnen hervorgeht und ohne dass diejenigen eine höhere Lebensqualität gewinnen, um deretwillen die Veränderungen angestrebt werden, verdienen den Namen Reform nicht, erst recht nicht, wenn sie als „Jahrhundertwerke“ und „Zeitenwenden“ angekündigt werden.

Trotzdem sind strukturelle Reformen unverzichtbar, wenn sich in den Köpfen und Herzen der Menschen etwas verändert hat, so dass die gesellschaftlichen Institutionen auf die Lebensentwürfe der Menschen nicht mehr passen. Der Zusammenbruch des real existierenden Sozialismus hat eine politische Rekonstruktion der Gesellschaft dringend werden lassen, die Forderung der Frauen auf Gleichstellung und Autonomie verlangt eine radikale Neugestaltung der Arbeitsverhältnisse, das gewachsene Gespür für den Schutz der natürlichen Umwelt nötigt dazu, den wirtschaftlichen Erfolg anders als bisher zu definieren. Die Erosion der erwerbswirtschaftlichen Solidarität ist ohne eine erweiterte Finanzierungsbasis nicht aufzuhalten. In der Natur mag „Evolution“ gelten, die Gesellschaft bedarf einer normativen Gestaltung.

Mit freundlichen Grüßen

— Professor Friedhelm Hengsbach SJ.,

Leiter des Oswald-von-Nell-Breuning-Instituts für Wirtschafts- und Gesellschaftsethik


eingetragen von Norbert Lindenthal am 07.07.2006 um 05.27

Nürnberger Nachrichten (hier auf diesen Seiten)


eingetragen von PL am 06.07.2006 um 20.38

Zensur nun auch im Forum der Nürnberger Zeitung.

Hierüber mehr im Forum des VRS.


eingetragen von PL am 21.06.2006 um 01.37

Auch der Tagesspiegel berichtete über Zensur – aber leider nicht über seine eigene, die er seit langem betreibt. Am 7.06.2006 veröffentlichte er eine Zeitungsmeldung unter der Überschrift China blockiert zeitweise google.com.

Die kleinen Diktatoren Deutschlands, die sich in den letzten zehn Jahren wie die Gartenzwerge vermehrten, versuchen nicht nur die Rechtschreibung der Kinder zu beeinflussen, sondern auch das Recht der Erwachsen, zu schreiben. Das aktuelle Motto Deutschlands, das lautet: „Die Welt zu Gast bei Freunden“, sollte um eine Bitte ergänzt werden, nämlich um die folgende: „– wenn sie ihre Meinung nicht als Gastgeschenk mitbringt.“

Gottfried Keller hat die Schweizer Bürger als Kulturbürger Deutschlands bezeichnet. Daran erinnere ich mich jetzt, um diese Uhrzeit. Denn „denk ich an Deutschland in der Nacht, / Dann bin ich um den Schlaf gebracht, / Ich kann nicht mehr die Augen schließen, / Und meine heißen Tränen fließen.“ Was in Deutschland gegenwärtig im Gange ist, beunruhigt mich wirklich sehr. Die Deutschen verspielen leichtfertig ihr kulturelles Erbe. Goethe-Institute werden geschlossen oder deren Geldmittel drastisch gekürzt; die deutsche Sprache wird von Kulturbürokraten verhunzt; die Demokratie wird mißachtet und Denglisch oder Engleutsch nehmen in den Medien und in der Werbung der Konzerne mehr denn je überhand.

Im „Wilpert/Gühring“ sind 47000 Erstausgaben von 1360 bedeutenden Dichtern deutscher Sprache, von der Barockzeit bis zum Jahr 1960, verzeichnet. Eine Erstausgabe besitze ich: Darin ist, auf der letzten Seite, eine Zeichnung zu sehen: Wie der Hl. Antonius, der Patron für verlorene Sachen, in Begleitung eines Schweines Einlaß in die Himmelspforte findet.
– geändert durch Peter Lüber am 21.06.2006, 10.26 –


eingetragen von PL am 21.06.2006 um 01.34

Forum des Tagesspiegels

In obengenannten Forum sind gestern wichtige Änderungen mitgeteilt worden:

„Liebe Nutzer dieses Forums,

Tagesspiegel Online und meinberlin.de haben diverse "Umbauarbeiten" an diesem Forum vorgenommen. So wurden beispielsweise einige wenig besuchte Bereiche geschlossen, die Struktur wurde übersichtlicher gestaltet.

Einschneidender ist allerdings eine weitere Änderung: Wie bei anderen Medien schon lange üblich werden künftig neue Themen nur noch durch die Redaktion angelegt.

Die Redaktionen von Tagesspiegel Online und meinberlin.de werden sich bemühen, zu allen wichtigen kontroversen Themen Diskussionen zu eröffnen. Wir werden darüber hinaus darauf achten, dass das Diskussionsniveau angemessen bleibt und keine Postings mit beleidigenden, verbotenen oder obszönen Inhalten eingestellt werden. Sollten Sie ein Diskussionsthema vermissen, können Sie dieses unter folgender E-Mail-Adresse vorschlagen: forum@meinberlin.net

Tagesspiegel Online und meinberlin.de“

Zu den „wenig besuchten Bereichen“, die geschlossen worden sind, gehört auch jener von Manfred Riebe über die Rechtschreibreform (der in Wahrheit am häufigsten besuchte). Wahr ist weiter, daß schätzungsweise 99 Prozent der Beiträge in den Orkus geschickt worden sind.

„Unsere Benutzer haben insgesamt 319 Beiträge geschrieben.
Wir haben 2587 registrierte Benutzer.“*

*Gestern, um 20:40 Uhr.


eingetragen von Norbert Lindenthal am 26.03.2006 um 06.53

Brandenburg
21.03.2006
Rechtschreibreform auf Sorbisch
Niederlausitz: Viele zweisprachige Ortsschilder sind seit Februar falsch – Schuld ist das „ut“

Cottbus - Seit Februar sind viele Ortsschilder in der Niederlausitz falsch. Gemerkt hat das bisher aber niemand – abgesehen von einigen Sorben. Wegen der rund 20 000 in Südbrandenburg lebenden Angehörigen dieser slawischen Minderheit sind die Orts- und viele andere amtliche Schilder hier zweisprachig. Und all’ der Hader um die deutsche Rechtschreibreform hat die Sorben in der Niederlausitz nicht davon abgehalten, nun ebenfalls eine ihrer Ansicht nach längst fällige Sprachkorrektur vorzunehmen.

Es geht um das „ut“, einen Vokal, der – so erklärt es der Sprachwissenschaftler Timo Meskank vom Leipziger Sorabistik-Institut – bislang wie ein „o“ geschrieben wurde, obwohl er wie ein zum „ö“ tendierendes „y“ ausgesprochen werde. Nicht-Sorben und Sorbischschüler hatten deshalb bislang erhebliche Probleme, das normale „o“ vom „ut“ zu unterscheiden. Seit Februar muss das „ut“ nun „ó“ geschrieben werden.

Doch viele sorbische Ortsnamen in der Niederlausitz enthalten das „ut“, nun geschrieben „ó“ – Chódebuz für Cottbus beispielsweise oder Bórkowy für die Spreewaldgemeinde Burg. Deshalb müssten die Ortsschilder jetzt eigentlich abmontiert und durch neue ersetzt werden. „Natürlich verlangen wir das nicht“, sagt Harald Konzack, der Vorsitzende des Rates für sorbisch-wendische Angelegenheiten beim brandenburgischen Landtag: „Das würde bei der deutschen Bevölkerung niemand verstehen. Da hört man ja ohnedies schon oft, dass die Sorben immer nur Geld wollen. Die Korrektur kann man vornehmen, wenn die Ortsschilder ohnehin erneuert werden müssen.“

Beschlossen wurde die Reform von der Niedersorbischen Sprachkommission. Ihr lagen noch viele weitere Änderungswünsche vor. Manche wollten eine große Korrektur der Sprache mit der Begründung, die Deutschen hätten ja auch eine umfassende Rechtschreibreform durchgeführt. Die Kommission lehnte diese Anträge ab.

Für den 39-jährigen Hauke Bartels, der die Cottbuser Arbeitsstelle des Sorbischen Instituts Bautzen leitet, war das eine richtige Entscheidung. Immer wieder herangezogene Vergleiche mit dem Deutschen und anderen großen und stabilen Sprachen verkennen seiner Meinung nach völlig die Realität. „Wie viel ,Reform und Verunsicherung kann man sich in einer Sprache leisten, die extrem bedroht ist?“, fragt er und verweist wie Harald Konzack auf den seit Jahrzehnten anhaltenden Kampf der Sorben um die Erhaltung ihrer Sprache – gegen Schulschließungen und Kürzungen der Minderheitenförderung durch Bund und Länder.

Das „ut“ werden die etwa eineinhalbtausend Mädchen und Jungen, die in Brandenburg am Sorbischunterricht teilnehmen, wohl verkraften. Die Sprachkommission wird jedenfalls eine dementsprechende Empfehlung an das brandenburgische Bildungsministerium geben. Folgt das Ministerium dem Änderungsvorschlag – was zu erwarten ist –, wird die neue Schreibweise mit einer gewissen Übergangsfrist im Schulunterricht verbindlich.

Im benachbarten Sachsen ist alles etwas anders. Dort leben rund 40 000 Sorben, die Obersorbisch sprechen – eine dem Niedersorbischen zwar verwandte, aber doch eigene Sprache. Deshalb haben die Obersorben auch eine eigene Sprachkommission, und die hat in diesem Jahr ein neues Wörterbuch herausgegeben. Bei 500 der insgesamt 52 000 Vokabeln wurde die Schreibweise geändert, und nun will das sächsische Kultusministerium die Reformen ab dem kommenden Schuljahr für verbindlich erklären. Dann müssen die rund 2000 Schüler, die in Sachsen die obersorbische Sprache erlernen, echt pauken.

Sandra Dassler


eingetragen von Bernhard Schühly am 04.10.2004 um 20.49

Zitat:
Ursprünglich eingetragen von Norbert Lindenthal

Kommas sind wie Musik

Vor allem eine Liebeserklärung: Für Truss ist die Interpunktion mehr als Grammatik, nämlich Musik, die den Leser dirigiert durch die Textmelodie.

Am Anfang stand auch bei Truss die schäumende Wut. Immer wieder regte sich die Journalistin, Kolumnistin und Romanschriftstellerin über falsch gesetzte Zeichen auf, die ihr aus dem Internet entgegen purzelten, von Plakatwänden runter brüllten. (...)
Wie Verkehrszeichen geleiten sie den Leser durch einen Text, sagen ihm, wo er anhalten, abbiegen, wo er das Tempo reduzieren muss. Für die Engländerin sind die Zeichen eine Sache der Höflichkeit: weil sie, ganz dezent, dem Leser helfen, einen Text zu verstehen ohne zu stolpern.

... könnte man ja im Unterricht einsetzen und dabei ein paar allgemeine Weisheiten über die Zeichensetzung unters junge Volk bringen.


Trotzdem - und das ist es ja gerade - einen guten Schreib- oder Redestil lernt man nicht in der Schule, schon gar nicht aus dem Duden, sondern aus dem Kontakt mit anderen Schreibern und Rednern, auf Deutsch durch Lesen und Hören. Dabei kommt es noch nicht einmal darauf an, nur hochqualitative Literatur zu lesen, ja gerade hier schärft die Vielfalt der Schreiber den Sinn für einen guten Stil, der vielleicht sogar zu einem ganz eigenen führt.
Und außerdem - um das Beispiel aufzugreifen - Sprache ist (wie) Musik! Man braucht ein Gefühl für den richtigen Takt und setzt deshalb z.B. die Kommas ensprechend, damit der "Interpret" gut in den Rhythmus kommt.
Aber diese Rhythmen sind regional bedingt anders!
Wie soll man z.B. entscheiden, ob eine Silbe kurz oder lang ist (seit neuem wichtig u.a. für die S-Schreibung!)?
Wir im Südwesten sprechen die Worte Spaß, Gras, Gries, mies, Ruß, Mus, Moos praktisch gleich aus (der Vokal eher gedehnt, der S-Laut nicht allzu hart). Nicht so muß, Stuss, Bus, Bass, Biß, Bündnis (kurzer Vokal, harter S-Laut). Das hört sich aber anderswo anders an. Dort werden Spaß, Gras dann wirklich kurz gesprochen, nicht aber Grieß.
Daß und das hören sich bei uns eigentlich gleich an (etwa zwischen den vorher beschriebenen Wörtern), die eigentliche Unterscheidung entsteht durch den Textzusammenhang und die sich im Redefluß ergebenden Betonungen.
__________________
Bernhard Schühly


eingetragen von Dominik Schumacher am 03.10.2004 um 10.40

03.10.2004 08:55

«Bild am Sonntag» ab heute mit alter Rechtschreibung

Berlin (dpa) - Als erste deutsche Tageszeitung ist die «Bild am Sonntag» heute zur alten Rechtschreibung zurückgekehrt. Das Blatt macht den Auftakt für die vom Axel Springer Verlag angekündigte Kehrtwende. Morgen wollen dann die «Bild»-Zeitung, «Die Welt» und alle weiteren Springer-Tageszeitungen nachziehen. Andere Verlage haben sich noch nicht entschlossen, ob und wann sie zur alten Rechtschreibung zurückkehren. In dieser Woche werden sich auch die Ministerpräsidenten der Länder mit der Rechtschreibreform befassen.


eingetragen von Norbert Lindenthal am 29.09.2004 um 06.45

(29.09.2004)

Kommas sind wie Musik

Punktum: In England steht ein Buch über Zeichensetzung auf der Bestseller-Liste

Von Susanne Kippenberger

Es ist Krieg, und alle kämpfen mit. Die „Frankfurter Allgemeine“ rief zur großen Schlacht gegen die Rechtschreibreform, Schriftsteller, Chefredakteure und Professoren folgten mit Geheul. Selbst Loriot hat dabei seinen Humor verloren: „Wir sind auf dem Wege, unser wichtigstes Kommunikationsmittel so zu vereinfachen, dass es in einigen Generation genügen wird, sich grunzend zu verständigen“, schrieb der Komiker. In der „Bild“.

Liebes Deutschland, ein bisschen mehr Leichtigkeit, bitte! Ein bisschen mehr Lynne Truss. Die englische Autorin hat einen Bestseller geschrieben, über das bestsellerunverdächtigste Thema, das man sich denken kann: ein Buch über Punkt und Komma, Semikolon und Apostroph. „Eats, Shoots & Leaves. The Zero Tolerance Approach to Punctuation“ steht seit über einem Jahr auf Englands Bestsellerlisten, inzwischen auch auf den amerikanischen, wurde zwei Millionen Mal verkauft und zum „British Book of the Year“ gekürt, die Kritiker jubelten (nur der „New Yorker“ nörgelte), inzwischen kann man im Buchladen gleich die Parodie zum Original kaufen.

Nun gut, kann man sagen, der neue Duden steht auf der Bestsellerliste auch oben. Aber das Buch von Lynne Truss ist kein Nachschlagewerk. Regeln erklärt es zwar auch, nur erschlägt die Autorin den Leser damit nicht, versucht ihn eher zu verführen, zu überzeugen, aufzurütteln. Es ist eine Kriegserklärung, die aufklärt und unterhält, die auch die Gegner zu Wort kommen lässt. Schriftsteller wie Gertrude Stein zum Beispiel, die das Komma hasst – servil nennt sie es – oder Donald Barthelme, den das Semikolon anwidert: „hässlich, hässlich, wie eine Zecke auf einem Hundebauch“. Dabei ist das Buch vor allem eine Liebeserklärung: Für Truss ist die Interpunktion mehr als Grammatik, nämlich Musik, die den Leser dirigiert durch die Textmelodie.

Am Anfang stand auch bei Truss die schäumende Wut. Immer wieder regte sich die Journalistin, Kolumnistin und Romanschriftstellerin über falsch gesetzte Zeichen auf, die ihr aus dem Internet entgegen purzelten, von Plakatwänden runter brüllten. Statt zum korrigierenden Pinsel griff sie zum Mikrophon, schrieb eine Radioserie und im Anschluss an deren Erfolg das Buch.

Ihre Botschaft: So winzig die Zeichen sind, so groß ist ihre Bedeutung. Wie Verkehrszeichen geleiten sie den Leser durch einen Text, sagen ihm, wo er anhalten, abbiegen, wo er das Tempo reduzieren muss. Für die Engländerin sind die Zeichen eine Sache der Höflichkeit: weil sie, ganz dezent, dem Leser helfen, einen Text zu verstehen ohne zu stolpern.

Plastisch vermittelt Truss, dass es nicht um Willkür geht, mit der Pedanten Freigeister trietzen, sondern darum, Unsinn und Sinn zu unterscheiden. So wie bei jenem Witz über einen Panda, auf den sich der Buchtitel bezieht: Ein Komma und die Welt steht kopf. Entweder isst das Tier Sprösslinge und Blätter (Eats shoots and leaves) – oder es isst, schießt und verzieht sich (Eats, shoots & leaves).

Das Apostroph hat es Lynne Truss ganz besonders angetan, sein Missbrauch quält sie körperlich. Wo es sein sollte, fehlt es, und wo es nichts zu suchen hat, steht es da und macht aus dem Plural einen possessiven Singular. Wie das Komma scheint auch das Apostroph oft eher mit dem Salzstreuer gesetzt zu werden als mit dem Verstand, mehr so zur Dekoration. Um auf Nummer Sicher zu gehen, setzen viele lieber eins zu viel als zu wenig. Nur ist „Banana's for Sale“ so falsch wie „Gabi's Futterkrippe“. Und tut genauso weh.

„Eats, Shoots & Leaves“ ist ein englisches Buch über englische Regeln, ein deutsches Pendant gibt es noch nicht. Aber so lange könnten Englischlehrer es ja in ihrem Unterricht einsetzen und dabei ein paar allgemeine Weisheiten über die Zeichensetzung unters junge Volk bringen. Und die Jungen könnten dann den Erwachsenen, all den „Gabi's“ und „Willi's“, was erzählen.

Lynne Truss: Eats, Shoots & Leaves. Profile Books, 209 Seiten, 9,99 Pfund.


eingetragen von Norbert Lindenthal am 19.08.2004 um 23.10

(20.08.2004 )          
POSITION

Gehässige Töne

Aus den Worten vieler Kritiker der Rechtschreibreform spricht Verachtung

Von Karin Wolff

Die Rechtschreibdebatte hat die Diskussionskultur in unserem Land verändert. Mit welchen Gefühlen werden manche der Kombattanten in wenigen Wochen wohl in den Spiegel schauen, wenn sie ihren Worten mit etwas Abstand wieder begegnen? Aus den Äußerungen so manchen Reformgegners spricht Hass oder Verachtung. Hoffentlich gibt der eine oder andere bald zu, dass seine Wortwahl maßlos war.

Natürlich ist die Rechtschreibung als Teil unserer Sprachkultur von großer Bedeutung, das streitet niemand ab. Trotzdem dürfen wir sie nicht mit dem Gesamten eines gebildeten Menschen verwechseln. Vor allem leben die Kombattanten aller verbalen Waffengattungen unseren Kindern und Jugendlichen nichts von der Schönheit der Sprache, von ihren unzähligen Möglichkeiten vor. Nein, es ist die Rede von „staatlich verordneter Legasthenie“, die Kultusministerkonferenz wird als skrupellose Mafia beziehungsweise „Cosa Nostra“, als „Kreis von Legasthenikern, der es zu Ministerämtern gebracht hat“, diffamiert.

Da wird von hochmögenden Chefredakteuren der Vorwurf des Totalitarismus gegen politisch Verantwortliche erhoben, gleichsam der Verdacht, NSDAP- und SED-Schergen meuchelten im Gewand des neuen Staates die Sprache! Als reichte das noch nicht, bringt eine Karikatur die Rechtschreibreform mit Osama bin Laden in Verbindung. Scheinbar harmlos mutet dagegen die Mitteilung eines ehemaligen Ministers an, er ginge lieber ins Gefängnis, statt in neuer Rechtschreibung Texte zu verfassen. Dass er damit viele verhöhnt, die der Meinungsfreiheit wegen in anderen Systemen tatsächlich verhaftet wurden, bemerken wohl nur sensible Naturen.

Auch aus Wissenschaft und Kultur waren oft ähnlich gehässige Töne zu hören. Dichter und Schriftsteller haben zu allen Zeiten die Spielräume des sprachlich und orthografisch Möglichen gedehnt. Ihre sprachlichen Regelverletzungen gehören zu dem, was der Mensch dulden muss. Doch auch für literarisch Schaffende gilt das Grundgesetz: Die Würde des Menschen ist unantastbar.

Und wie halten wir es neuerdings mit der Teilung der Gewalten im Staate? Journalisten und Verlage sollen eine Wächterfunktion ausüben. Natürlich dürfen und müssen Zeitungen auch Partei ergreifen. Doch Partei sein sollen sie nicht. Trotzdem machen sich einige Blätter jetzt zu politisch Handelnden, ja Agitierenden. Wie glaubwürdig sind sie, wenn sie anderweitig zu Recht darauf bestehen, es habe Gewaltenteilung zu herrschen?

Es hilft nur eines: eine Weile schweigen, nachdenken, sich besinnen auf Maß und Ziel. Wir haben viel aufs Spiel zu setzen.

Die Autorin ist CDU-Politikerin und Kultusministerin von Hessen.


eingetragen von Fritz Koch am 15.08.2004 um 08.23

hilft nur außerparlamentarische Opposition. Man sieht es gerade wieder.


eingetragen von Dominik Schumacher am 15.08.2004 um 06.58

(15.08.2004)

Die drei Berlusconis

Springer, „Spiegel“ und „FAZ“ wischen die Rechtschreibreform einfach weg. Damit stellen sie sich über die Politik

Von Harald Martenstein

In diesem Artikel geht es nicht darum, ob die Rechtschreibreform vernünftig oder unvernünftig ist, gut oder schlecht. Das ist ein anderes Thema. In diesem Artikel geht es darum, ob es gut ist, wenn drei mächtige Männer, Personen, die durch nichts anderes legitimiert sind als durch die Macht ihrer Firma, den Beschluss einer deutschen Kultusministerkonferenz kippen können. Kippen? Nein, wegwischen. In einer Aktion, die, wenn es um etwas Wichtigeres ginge als Rechtschreibung, Züge eines Staatsstreichs hätte. Die Reform taugt nichts, weg damit, wir machen das mal eben.

Wer hat die Macht? Die Parlamente und die Regierungen, die durch Wahlen bestimmt werden, oder die großen Medienunternehmen? Das ist die Frage.

Die drei Männer sind der Herausgeber der „Frankfurter Allgemeinen“, Frank Schirrmacher, der Chef des Springer-Konzerns, Mathias Döpfner, und der Chef des „Spiegel“, Stefan Aust. Zwei von ihnen haben gerade synchron und in großer Aufmachung ihren Ausstieg aus der neuen Rechtschreibung erklärt, der Dritte war gar nicht erst eingestiegen. Andere, vor allem die „Süddeutsche Zeitung“, haben sich angeschlossen. Wenn man das Gewicht dieser drei zusammennimmt, sind Schirrmacher, Döpfner und Aust fast eine Art Berlusconi. Zusammen repräsentieren sie einen guten Teil der publizistischen Macht in einem Land, in dem die Medien seit Jahren unablässig wichtiger und mächtiger geworden sind, was man unter anderem daran merkt, dass dieses Land einen Medienkanzler hat, der einmal gesagt hat, dass er zum Regieren vor allen die „Bild“-Zeitung und die Glotze braucht. Außerdem besitzt dieses Land ein Über-Parlament, das den Namen „Sabine Christiansen“ trägt.

Wie sehr das Machtgefüge sich zugunsten der Medien verschoben hat, wird einem klar, wenn man an Austs Vorgänger denkt, an Rudolf Augstein. Augstein wollte in einem bestimmten Moment seines Lebens zum politisch Handelnden werden, also ließ er sich für die FDP in den Bundestag wählen (wo er es nur kurz aushielt). Bundestagsabgeordneter! Für jeden Chef eines Medienkonzerns wäre dieser Job inzwischen ein gewaltiger Abstieg. Das macht heute keiner mehr. Volksvertreter sind viel zu machtlos.

Die drei Medien-Manager haben jedes Recht der Welt, mit Kommentaren und sogar mit Kampagnen Sturm zu laufen gegen eine Reform, die sie, aus nachvollziehbaren Gründen, für unsinnig halten. Es ist auch ihr Recht, in ihrem jeweiligen Medium an den alten Schreibweisen festzuhalten. Das ist jedermanns Recht: zu schreiben, wie man möchte. „Daß“ zu schreiben, ist nicht strafbar. Im Grunde dürfen die deutschen Kultusminister nur eines: Sie dürfen bestimmen, was an den Schulen gelehrt wird. Denn an den Schulen muss es eine geltende Schreibnorm geben, sonst verzweifeln Lehrer und Schüler. Mit ihrer konzertierten Aktion aber regieren die drei Medienmanager indirekt in die deutschen Schulen hinein. Sie wollen, kraft ihrer wirtschaftlichen und publizistischen Macht, bestimmen, wie die deutschen Schüler schreiben.

Was kommt als Nächstes? Werden als nächstes die drei größten deutschen Konzerne erklären, dass sie den Kündigungsschutz für noch unsinniger halten als die Rechtschreibreform, und dass sie sich deswegen ab sofort nicht mehr an die entsprechenden Vorschriften halten?

Der Respekt vor den Spielregeln ist nun mal eines der zentralen Prinzipien der Demokratie. Spielregeln gelten für alle. Das Gegenteil dieses Prinzips heißt: Recht des Stärkeren, Selbstjustiz.

Hinter dem Versuch der drei Manager, die Rechtschreibreform wegzuputschen, schimmert erstaunlicherweise der alte, antiautoritäre 68er-Geist, den man im Hause Springer zuallerletzt vermutet hätte. „Die Sprache gehört nicht der Kultusbürokratie“, heißt es im letzten „Spiegel“, Originalton ’68. Die Rede ist von einer „parteiübergreifenden Bürgerbewegung“. Man steht also wieder an der Spitze der Bewegung. Im Kampf gegen die Rechtschreibreform ist ein interessantes geistiges Mischprodukt entstanden – der revolutionäre Ton von einst verschmilzt mit dem neoliberalen Geist von heute. Der Neoliberale sieht im Staat ja immer und zuallererst „Bürokratie“, der Staat muss überall zurückgedrängt werden, zugunsten von – ja, was? Zugunsten der Manager. Das ist die neue revolutionäre Elite.

Die drei Manager haben eine Art magische Linie überschritten. Bisher hat als ehernes Prinzip gegolten: Journalisten sind Beobachter. Journalisten mischen nicht selber mit im Spiel der Macht. Sie beschreiben und kommentieren, mehr nicht. Seit der Rollenwechsel zwischen Politikern, Journalisten und Moderatoren eine alltägliche Sache geworden ist, galt dieses Prinzip ohnehin nur noch eingeschränkt. Jetzt muss man sich offiziell davon verabschieden. Die berühmte, in jeder Journalistenschule gelehrte Regel des Fernsehmoderators Hanns Joachim Friedrichs – Journalisten machen sich mit keiner Sache gemein, auch nicht mit einer guten Sache –, diese Regel gilt nicht mehr für alle.

Einen Volksentscheid würde die Rechtschreibreform bestimmt nicht überstehen. Das wäre immerhin ein demokratisches Verfahren. Das Volk entscheidet. Und nicht drei Firmenchefs, die sich zusammensetzen, in der Berliner „Paris Bar“ vielleicht, und zu dritt beschließen, mal eben einen Ministerbeschluss zu kippen.


eingetragen von Sigmar Salzburg am 15.08.2004 um 05.49

Gerade sehe beim Tagesspiegel ich eine Abstimmung online:

Soll die Rechtschreibreform zurückgenommen werden?
Ja: 24%; Nein: 76%


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Sigmar Salzburg


eingetragen von Norbert Lindenthal am 10.08.2004 um 22.06

10.08.2004 14:57

Rechtschreib-Umstellung bei Springer läuft an

Hamburg (dpa) - Ungeachtet aller Einwände aus der Politik und anderen Medien sind beim Verlag Axel Springer die Vorbereitungen für die Rückkehr zur alten Rechtschreibung angelaufen. Eine Sprecherin des Unternehmens sagte der dpa, dabei gehe es nicht um Zwischenlösungen: «Wir kehren zu dem zurück, was bis 1998 für alle verbindlich war.» Dagegen wollen Österreich, die ARD und die Verlagsgruppe Handelsblatt an der neuen Rechtschreibung festhalten. Die «Süddeutsche Zeitung» will sich frühestens im Oktober festlegen.


eingetragen von Dominik Schumacher am 10.08.2004 um 07.28

10.08.2004 06:39

Weiter Debatte um Rechtschreibreform

Hamburg (dpa) - Eine komplette Rücknahme der umstrittenen Rechtschreibreform ist laut der hessischen Kultusministerin Karin Wolff nicht möglich. «Vielmehr müsste wieder eine Kommission gebildet werden, die wieder monatelang diskutiert und dann eine neue Rechtschreibreform verabschiedet», sagte sie dem «Mannheimer Morgen». Unter anderem der niedersächsische CDU-Ministerpräsident Christian Wulff hatte den Stopp der Reform gefordert. Großverlage wie Springer und Spiegel wollen wieder zu den alten Schreibweisen zurückkehren.


eingetragen von Norbert Lindenthal am 09.08.2004 um 23.00

09.08.2004 21:22

Springer kehrt in vier Wochen zu alter Schreibung zurück

Hamburg (dpa) - Der Termin der Rückkehr zur alten Rechtschreibung steht bei den Großverlagen, die das wollen, noch nicht fest. Nur Springer kündigte eine zügige Änderung an: In etwa vier Wochen sollten dort wieder die alten Regeln gelten, sagte eine Sprecherin dem «Tagesspiegel». Welche Blätter im Verlag den Anfang machen, steht noch nicht fest. Bei der «Süddeutschen Zeitung» gibt es noch keinen Zeitplan. In der Debatte um die Rechtschreibung hat sich Kanzler Gerhard Schröder inzwischen gegen eine Rücknahme der Reform gewandt.


eingetragen von Norbert Lindenthal am 09.08.2004 um 04.43

09.08.2004 01:57

Kultusministerkonferenz gegen Volksabstimmung über Rechtschreibung

Berlin (dpa) - Die Präsidentin der Kultusministerkonferenz, Doris Ahnen, hat sich gegen eine Volksabstimmung im Streit um die Rechtschreibreform ausgesprochen. In der ARD sagte Ahnen, die Mehrzahl der Bürger hätte andere Sorgen. Die SPD-Politikerin verwies auf einen «einstimmigen Beschluss» in der Kultusministerkonferenz, die Rechtschreibreform zum 1. August 2005 einzuführen. CDU-Vize Jürgen Rüttgers sprach von einer Volksinitiative in Schleswig- Holstein, die eine große Mehrheit gegen die Rechtschreibreform hatte.


eingetragen von Norbert Lindenthal am 07.08.2004 um 17.02

07.08.2004 16:48

Streit um Rechtschreibung spitzt sich zu

Hamburg (dpa) - Im Streit um die Rechtschreibung hat sich die Mehrheit der Bundesländer für eine Beibehaltung der neuen Regeln ausgesprochen. Lehrerverbände warnten vor einer Verunsicherung in den Schulen bei einer Rücknahme der seit sechs Jahren gelehrten Schreibweisen. Niedersachsens Ministerpräsident Christian Wulff appellierte an die anderen Länderchefs, «das Scheitern der Rechtschreibreform» einzugestehen. Axel Springer AG und Spiegel- Verlag hatten ihre Rückkehr zur alten Rechtschreibung angekündigt.


eingetragen von Norbert Lindenthal am 07.08.2004 um 16.01

07.08.2004 11:42

Elternverband fordert Beibehaltung der neuen Rechtschreibung

München (dpa) - Der Bayerische Elternverband hat die von mehreren Verlagen angekündigte Rückkehr zur alten Rechtschreibung kritisiert. Das sei eine populistische Entscheidung, erklärte die BEV-Vorsitzende Ursula Walter. Sie plädierte für eine Beibehaltung der neuen Regeln. «Spiegel»-Chefredakteur Stefan Aust verteidigte dagegen die Rückkehr zur alten Schreibweise. Die Rechtschreibreform sei staatlich verordneter «Schwachsinn». Unterstützung erhielten die Reformgegner inzwischen auch von FDP-Chef Guido Westerwelle.


eingetragen von Norbert Lindenthal am 07.08.2004 um 15.23

07.08.2004 08:49

Aust verteidigt Rückkehr zur alten Rechtschreibung

Berlin (dpa) - Der Chefredakteur des Nachrichtenmagazins «Der Spiegel», Stefan Aust, hat die Rückkehr des Blattes zur alten Rechtschreibung verteidigt. Er begründete den Schritt im RBB mit der nach wie vor mangelnden Akzeptanz der neuen Regeln durch die Bevölkerung. Man müsse etwas tun, «um diesem staatlicherseits verordneten Schwachsinn Grenzen zu setzen», so Aust. Auch FDP-Chef Guido Westerwelle kündigte in der «Welt am Sonntag» an, er wolle für die Rücknahme der Rechtschreibreform kämpfen.


eingetragen von Norbert Lindenthal am 07.08.2004 um 07.01

07.08.2004 07:51

Auch Westerwelle für Rücknahme der Rechtschreibreform

Berlin (dpa) - Auch FDP-Chef Guido Westerwelle will für die Rücknahme der Rechtschreibreform kämpfen. Der «Welt am Sonntag» sagte er, die neue Rechtschreibung sei so überflüssig wie ein Kropf. Zuvor hatten sich bereits die Unions-Länderchefs Edmund Stoiber, Christian Wulff und Peter Müller gegen die neuen Regeln ausgesprochen. Ihre SPD-Kollegen Kurt Beck und Harald Ringstorff sind für die Reform. Die Verlage Springer und Spiegel hatten gestern die Rückkehr zur alten Schreibweise angekündigt.


eingetragen von Norbert Lindenthal am 07.08.2004 um 03.23

07.08.2004 01:58

Neuer Streit um Rechtschreibreform ausgebrochen

Berlin (dpa) - Thüringens Ministerpräsident Dieter Althaus und Brandenburgs Bildungsminister Steffen Reiche haben sich gegen eine Rücknahme der Rechtschreibreform gewandt. Reiche warnte in der «Berliner Zeitung» vor den Kosten einer erneuten Änderung. In den vergangenen Jahren seien viele Schulbücher neu gedruckt und gekauft worden. Ausgelöst wurde die Debatte durch die Medienkonzerne Axel Springer und Spiegel-Verlag. Sie kehren zur alten Rechtschreibung zurück und appellierten an alle Medien, sich anzuschließen.


eingetragen von Norbert Lindenthal am 06.08.2004 um 21.48

06.08.2004 18:47

«Bild» und «Spiegel» wieder mit alter Rechtschreibung

Hamburg (dpa) - Die umstrittene Rechtschreibreform könnte im letzten Moment doch noch scheitern: Ein Jahr vor der endgültigen Einführung der neuen Schreibregeln kehren die Medienkonzerne Axel Springer AG und Spiegel-Verlag wieder zur alten Rechtschreibung zurück. Beide Unternehmen appellierten in einer gemeinsamen Erklärung an alle Medien, sich ihnen anzuschließen. CDU-Länderchefs unterstützten den Vorstoß, während von SPD-Politikern Ablehnung kam. Lehrerverbände mahnten eine einheitliche Regelung an.


eingetragen von Norbert Lindenthal am 06.08.2004 um 21.32

6.8.2004

Chronologie: Der Streit um die Rechtschreibreform

Seit der Unterzeichnung der «Gemeinsamen Erklärung zur Neuregelung der deutschen Rechtschreibung» 1996 in Wien haben sich Gegner und Befürworter der neuen Regeln eine erbitterte Kontroverse geliefert. Wichtige Etappen des Streits:

1.7.1996: Nach mehr als zehnjähriger Beratung in einer Expertenkommission unterzeichnen Deutschland, Österreich, die Schweiz, Liechtenstein und die Länder mit deutschsprachiger Minderheit die Erklärung zur Rechtschreibreform.

6.10.1996: Auf der Frankfurter Buchmesse unterzeichnen 100 Schriftsteller und Wissenschaftler die «Frankfurter Erklärung» für einen Stopp der Reform.

14.7.1998: Das Bundesverfassungsgericht erklärt die Rechtschreibreform für rechtmäßig und weist eine Klage als unbegründet ab. 1.8.1998: Die neue Rechtschreibung tritt für alle Schulen und Amtsstuben in Kraft. Die Übergangszeit, in der auch die alte Schreibweisen erlaubt sind, geht bis zum 31. Juli 2005.

31.7.1999: Die deutschsprachigen Nachrichtenagenturen setzen die Reform um - allerdings mit einigen Besonderheiten.

1.8.1999: Nahezu alle Zeitungen in Deutschland, Österreich und der Schweiz erscheinen mit nach den neuen Regeln verfassten Berichten.

1.8.2000: Die «Frankfurter Allgemeine Zeitung» kehrt zur alten Rechtschreibung zurück.

3.8.2000: Die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung appelliert an Zeitungen, Verlage, Betriebe und staatliche Stellen, zur alten Rechtschreibung zurückzukehren.

10.9.2000: Fast Zwei Drittel der Deutschen (64 Prozent) lehnen laut einer Umfrage des Allensbacher Instituts für Demoskopie die Rechtschreibreform ab.

28.2.2002: Die neue deutsche Rechtschreibung ist laut der «Zwischenstaatlichen Kommission» weitgehend im Alltag angekommen. 80 Prozent aller im vergangenen Jahr neu erschienenen Bücher seien in der neuen Schreibweise verfasst.

19.11.2003: Mehrere Kunst- und Wissenschaftsakademien in Deutschland rufen zu einer Umkehr bei der Rechtschreibreform auf.

3.6.2004: Die Länder-Kultusminister billigen einstimmig einen Bericht der Zwischenstaatlichen Kommission zur Umsetzung der eingeführten Reform: Damit wird die neue Rechtschreibung wie geplant zum 1. August 2005 an den deutschen Schulen verbindlich. Zugleich werden in einigen Fällen mehrere Schreibvarianten und mehr Wahlfreiheit bei Getrennt- und Zusammenschreibungen zugelassen.

13.6.2004: Niedersachsens Ministerpräsident Wulff (CDU) fordert die Rückkehr zur alten Rechtschreibung.

29.7.2004: Der Mehrzahl der 16 Ministerpräsidenten der Bundesländer plädiert dafür, die neuen Regeln wie von der Kultusminister-Konferenz beschlossen zum 1. August 2005 verbindlich einzuführen. (Quelle: dpa)


eingetragen von Norbert Lindenthal am 06.08.2004 um 20.42

6.8.2004

Springer und Spiegel kippen Rechtschreibreform

Die Axel Springer AG und der Spiegel-Verlag kehren in ihren Publikationen zur alten Recht-schreibung zurück. Gleichzeitig appellierten die Verlage an andere Medienunternehmen sowie an die Nachrichtenagenturen, sich diesem Schritt anzuschließen.


Hamburg (06.08.2004, 11:42 Uhr) - Bisher hatte als einzige überregionale Zeitung sich die «Frankfurter Allgemeine Zeitung» der neuen Rechtschreibreform verweigert. Die neue Rechtschreibung wird nach den Beschlüssen der Kultusminister im nächsten Jahr verbindlich in Kraft treten.

Die zum Spiegel-Verlag und zu Axel Springer gehörenden Titel, die nach eigenen Angaben rund 60 Prozent der Bevölkerung in Deutschland erreichen, werden ihre Schreibweise «schnellstmöglich umstellen». Es gehe darum, eine einheitliche deutsche Rechtschreibung wiederherzustellen, hieß es.

Bei Europas größtem Zeitschriftenverlag Gruner + Jahr («Stern», «Brigitte», «Geo») sprachen sich Chefredakteure der einzelnen Titel mehrheitlich gegen eine Rückkehr zur alten Rechtschreibung aus. Es gebe keine konzernübergreifende Direktive, sagte ein Verlagssprecher am Freitag in Hamburg. Die Chefredakteure entschieden selbstständig über die Rechtschreibung, die meisten hätten sich aber in einer konzerninternen Umfrage gegen eine Wiederumstellung von neuer auf alte Schreibweise ausgesprochen, sagte der Sprecher. (tso/dpa)


eingetragen von Reinhard Markner am 25.07.2004 um 08.31

Hannelore Poethe wurde 1979 in Leipzig mit einer Arbeit über Die Behandlung von Sprachnorm und Sprachentwicklung im Duden : unter besonderer Berücksichtigung des divergierenden Sprachgebrauchs in der DDR und in der BRD promoviert. In Leipzig sitzt sie noch immer. Dort wurde im Wintersemester 2002/03 die Vorlesung "Schrift- und Orthographiegeschichte" gehalten. Hier die Ankündigung : "Nach einer knappen Fundierung des Phänomens der Schrift betrachten wir die Geschichte des Schreibens in Deutschland und befassen uns mit alten Verschriftungen des Deutschen. Im Laufe der Entwicklung des Schreibens verfolgen wir die dazu parallele Geschichte der Bewusstmachung von zugrundeliegenden Regeln des Schreibens. Die Reflexion dieser Regeln führt uns bis zur aktuellen Rechtschreibreform, die als konsequente Weiterentwicklung dieses Bewusstmachungsprozesses erklärt wird, in dem immer neue Wünsche an die Schreibung in der Auseinandersetzung zwischen Schreibenden, Lesenden und normierenden Einheiten miteinander konkurrieren." Die Reform als "konsequente Weiterentwicklung eines Bewußtmachungsprozesses", das ist stark.


eingetragen von Dominik Schumacher am 25.07.2004 um 07.58

25.07.2004 03:48

Leipziger Germanistin gegen Rücknahme der Rechtschreibreform

Leipzig (dpa) - Vor einer Rücknahme der Rechtschreibreform hat die Leipziger Germanistin Hannelore Poethe gewarnt. «Eine Rückkehr zu den alten Regeln würde noch größere Verunsicherung erzeugen», sagte Poethe in einem Gespräch mit der dpa. Sie setzte sich gleichzeitig für mehr Toleranz ein. Der politische Streit um die Reform, in den zuletzt auch mehrere Ministerpräsidenten eingegriffen haben, sollte sachlicher werde. Der Übergangszeitraum endet im August 2005.


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