Re: Rückkehr zur wirtschaftlichen Vernunft
Zitat: Ursprünglich eingetragen von Norbert Schäbler
Es gibt in der Wirtschaft ein ungeschriebenes Gesetz. Es heißt: Einen Umstellungs- und Erneuerungsversuch sollte man dann abbrechen, wenn alle Prognosen und Berechnungen aufzeigen, daß diesem Versuch kein Erfolg beschieden ist. Dann nämlich gilt die alte Weisheit. Die Anfangsverluste eines zum Scheitern verurteilten Unternehmens sind relativ gesehen gering.
Auch darauf haben die Reformkritiker immer hingewiesen. Seit nunmehr fast sechs Jahren investiert der Staat jedoch weiterhin in ein Faß ohne Boden.
Dafür wird der Staat seine Gründe haben ganz egal, was man von diesen Gründen halten mag; offenbar gibt es einen Mechanismus, der bewirkt, daß dieses Gegenargument nicht zum Zuge kommt.
Nicht, daß ich mich darüber freue es fällt mir nur auf. Nicht, daß ich dieses Geschehen anerkennen wollen würde wenn es nun aber nicht hilft, auf diese Problematik hinzuweisen, sollte man eine andere Herangehensweise probieren, um eine Veränderung zu bewirken. Man kann ja später wieder auf das Kostenargument zurückkommen, wenn die Voraussetzungen günstiger sind, so daß es wirklich Gehör findet. Hätte das etwas von vorauseilendem Gehorsam bzw. von einem eingezogenen Schwanz? Das scheint vielleicht so zu sein, ich halte es aber nur für aufgeschoben und damit nicht für aufgehoben (solange man nicht bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag wartet).
Zitat: Und hier komme ich nicht um meine angebliche Polemik herum. Diese Investoren, unsere Politiker, haben keine Ahnung von Wirtschaftlichkeit, denn sie spekulieren mit Geldern, die sie dem Bürger aus der Tasche ziehen. Sie haben kein Verhältnis zu fremdem Geld!!
Selbst heute noch gilt der Satz: Die Anfangsverluste sind die geringeren, denn das Ende dieser unsinnigen, unnötigen, abermilliardenteuren Rechtschreibreform kann nie erreicht werden, weil sie keine Perspektive hat, sondern weil ausschließlich Revisionen (im Sinne der Rückkehr zum Bewährten) anfallen werden.
Ist ja alles richtig, aber was hilft's? Wichtiger ist offensichtlich, was Herr Ickler im Zusammenhang mit seiner Bemerkung von der »Rückkehr zur Vernunft« gesagt hat: Es geht darum, eine Perspektive für die Rückkehr zu eröffnen und das heißt m. E., sich nicht nur darüber Gedanken zu machen, warum hier etwas geändert werden muß, sondern auch, wie die Hindernisse, die den erforderlichen Änderungen entgegenstehen, beseitigt bzw. umgangen werden können! Sonst wird das nie was!
Natürlich ist es peinlich für die Politiker, daß man sie quasi wie kleine Kinder behandeln muß, die sich beleidigt in den Schmollwinkel zurückgezogen haben, obwohl es ihre Aufgabe ist, für das geradezustehen [wie sieht das eigentlich in Neuschrieb aus?], was sie verbockt haben. Aber vermutlich bekommt man sie mit drastischen Vorhaltungen wegen verpulverter Millionenbeträge da nicht herausgelockt im Gegenteil: Alles, was das (evtl. vorhandene) schlechte Gewissen wieder hochkommen läßt, dürfte die Situation eher verhärten.
Allerdings plädiere ich keineswegs für eine falsche Rücksichtnahme, eher für die Methode Zuckerbrot und Peitsche: Den Politikern gegenüber sollte man offenbar besser mit völlig neuen Argumenten auftreten (wie die sinnvollerweise aussehen können, weiß ich noch nicht; mein bisheriger Vorschlag unter »Betrifft: Rückkehr zur Vernunft« in diesem Strang ist noch reichlich unausgegoren), wohingegen man in einer öffentlichkeitswirksamen Kampagne durchaus auf die massiven Probleme aufmerksam machen sollte, so daß entsprechende Kommentare in den großen Tageszeitungen erscheinen. Der Druck muß von der Allgemeinheit kommen, nicht nur von den Reformgegnern.
Deshalb ist es m. E. so wichtig, die Argumente gegen die Reform sowie Informationen über den politischen Hintergrund allgemein zu verbreiten, ohne dabei besserwisserisch, rechthaberisch, bevormundend oder überheblich zu wirken. Wie heißt es so schön bei der Peilschen Wörterliste: »Sinn und Unsinn selbst erkennen« das macht m. E. die Reformkritik glaubwürdiger als jede noch so feinsinnige Ironie.
Was bei der Peilschen Liste nicht vorhanden ist, sollte natürlich mit verbreitet werden: eine rein sachliche Erläuterung der Problematik, warum manche Neuschreibungen grammatisch gesehen Schwachfug sind, warum das Kontextprinzip keine gute Idee ist und daß also wirklich Wörter ersatzlos getilgt worden sind etc. Natürlich liefert der »Schildbürgerstreich« schon viel davon, aber wie bereits in einem vorangehenden Beitrag bemerkt, halte ich den Inhalt dort für etwas ungünstig verpackt. Und das Buch ist von seinem Umfang her schon etwas für Fortgeschrittene, wohingegen die »Sehstörungen« notgedrungen recht knapp gehalten sind. Mir schwebt eher etwas vor, das sowohl eine griffige Übersicht der Kritik samt einprägsamer Beispiele enthält, als auch im Anschluß eine etwas ausführlichere Begründung der einzelnen Kritikpunkte (worauf im vorderen Teil jeweils verwiesen werden kann). Wenn die 1996er Fassung der RSR wirklich so schlecht ist, wie es schon vielfältig analysiert und beschrieben wurde, dann sollte es zur Information über die Reformkritik genügen, die Problemfälle sachlich darzustellen und für sich selber sprechen zu lassen.
Zitat: Warum also nicht mit der Maximalforderung zurück zu einem neuen Anfang?
Die Maximalforderung ist bekannt; was aber noch fehlt, ist eine Abschätzung der realistischen Chancen, dieselbe durchzubekommen, bzw. eine Analyse der Hindernisse dabei. Erst wenn das einigermaßen geklärt ist, sollte man sich mit Forderungen vorwagen. Mir scheint, daß die Politiker einfach nicht zugeben wollen, daß sie bei der Entscheidung im Zuge der Mannheimer Anhörung einen Fehler begangen haben, indem sie den Forderungen der Kommission nicht gefolgt sind. Genausowenig werden sie zugeben wollen, daß die Reform unnützerweise viel Geld verschlungen hat. Es muß also gezeigt werden, daß Änderungen immer noch ohne Gesichtsverlust möglich sind, und daß dadurch nur unerhebliche Kosten entstehen.
Wenn es wahr ist, daß die Wörterbuchverlage selber zugeben, daß sie wegen der regelmäßigen Korrekturen an der Neuschreibung ääh, genauer: wenn Bertelsmann davon ausgeht (aus welchen Gründen auch immer), daß die aktuelle Fassung seines Wörterbuchs lediglich »dem amtlichen Gebrauch der nächsten zwei, drei Jahre entspricht«, bedeutet das doch, daß momentan Änderungen völlig problemlos möglich sind, sowohl, was die politischen als auch die praktischen (d. h. finanziellen) Voraussetzungen betrifft: Änderungen finden allemal statt, und also kann man das gleich richtig machen, und gekauft werden die Neuauflagen ja sowieso.
Der einzige Haken dabei ist natürlich, daß niemand zugeben wird, daß es solche (quasi-) echten Änderungen bereits gegeben hat was rein formal gesehen ja auch stimmt; die Amtliche Regelung ist nach wie vor die von 1996 oder daß der 3. Bericht der Rechtschreibkommission (RSK; kurz für die »Zwischenstaatliche Kommission ...«) solche nahelegt. Es bleibt also abzuwarten, wie umfangreich der Offenbarungseid ausfallen wird, wenn die in diesem Bericht unterbreiteten Diskussionsvorschläge ihren zu erwartenden Eingang in die Wörterbücher von Duden und Bertelsmann gefunden haben.
Eine andere Hilfe, Änderungen der Amtlichen Regelung als politisch problemlos erscheinen lassen zu können, wäre der Hinweis auf das von vornherein geplante Prozedere, welches solche vor der endgültigen Festlegung sowieso vorsah es sollte also niemanden überraschen, wenn das auch wirklich so gemacht wird. Dies hat nun leider zwei Haken:
Zum einen befinden sich die Kommissionsmitglieder, welche ja solche Änderungen ausarbeiten sollen, seit der Mannheimer Anhörung in der Zwickmühle, daß sie einerseits um die Fehlerhaftigkeit des Reformwerkes wissen, dies andererseits aber nicht laut sagen dürfen, weil ihnen durch das damalige NEIN der Kultusminister quasi der Mund verboten wurde und so blockieren sich KMK und RSK gegenseitig, denn von alleine werden die Kultusminister nicht auf den Trichter kommen, wirklich etwas zu ändern (vermute ich).
Zum anderen steht zu erwarten, daß bei einer offiziellen Änderung der Amtlichen Regelung die Proteste wegen vermeintlicher unnötiger Zusatzkosten recht laut werden im Unterschied zu den jetzigen schleichenden Nachbesserungen, die ja fast garnicht auffallen. Dies halte ich aber für ein Vorurteil; das müßte man also mal genauer durchrechnen.
Wie bringt man also die Kommissionsmitglieder dazu, sich zusammenzureißen, anstatt sich zu verbiegen, die Fakten offen auf den Tisch zu legen, anstatt sie zu verheimlichen, und von den Kultusministern Korrekturen zu verlangen, anstatt lediglich Pro und Contra abzuwägen? Oder ist das aussichtslos? Eine oberflächliche Betrachtung des 3. Berichtes legt ja anscheinend ein Desinteresse der Kommision an solchen Forderungen nahe. Ist diesen Berichten nicht auf der wissenschaftlichen Ebene beizukommen, evtl. sogar nachzuhelfen? Zumindest die Veröffentlichung sollte doch selbstverständlich sein für ein Werk, das den Anspruch der Wissenschaftlichkeit erhebt!! Also spricht auch die Geheimniskrämerei um die Berichte für sich d. h. gegen die Wissenschaftlichkeit. Und so etwas läßt die schweigende Germanistenmehrheit in Deutschland zu?? Oder ist das wirklich harmlos? ('tschuldigung für die Polemik.)
Ich habe mir beispielsweise von Herrn Heller Fachliteratur zur ck-Trennung empfehlen lassen, und wenn der Artikel von Munske, der 1997 in »Orthographie als Sprachkultur« (S. 167-175) erschienen ist, das wissenschaftliche Kernstück der Begründung der neuen Nichttrennungsregel ist, dann steht sie auf sehr wackeligen Füßen; ich denke, daß ich ohne selber Germanist zu sein die darin vorgebrachten Argumente aus rein logischen Gründen widerlegen bzw. zumindest ihre Zweifelhaftigkeit belegen kann. Allein der offensichtliche innere Widerspruch der entsprechenden Paragraphen der Neuregelung zeigt ja bereits, daß an den Argumenten für die Nichttrennung etwas faul ist. Ob so eine Gegendarstellung allerdings viel nützen würde, weiß ich nicht, genausowenig, ob bzw. in wie bedeutsamer Form so etwas außerhalb des »Kritischen Kommentars« von Herrn Ickler bereits existiert. Mal sehen, wann ich dazu komme, meine umfangreichen Notizen abzutippen und Herrn Heller um eine Stellungnahme zu bitten oder sollte ich mich damit gleich an Herrn Augst wenden?
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Jan-Martin Wagner
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