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NZZ Neue Zürcher Zeitung
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Norbert Lindenthal
21.08.2004 20.18
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NZZ Neue Zürcher Zeitung

21. August 2004, 02:10, Neue Zürcher Zeitung

Können Politiker Wörter liquidieren?

Eine Replik auf Peter von Matt

Die folgende Zuschrift bezieht sich auf den Beitrag von Peter von Matt in unserem Feuilleton vom vergangenen Samstag, worin Kritik an der Rechtschreibreform in literarisch-grammatikalischer wie auch in politischer Hinsicht geübt wurde. Der Verfasser der Replik, Horst Sitta, ist Emeritus für Sprachwissenschaft an der Universität Zürich und einer der massgeblichen Linguisten, die die Reform in der Schweiz gestaltet haben.

In einem Artikel in der NZZ vom 14./15. August äussert sich Peter von Matt kritisch zur Neuregelung der Rechtschreibung, was sein gutes Recht ist. Zugleich erhebt er harte Vorwürfe gegen die Erziehungsdirektoren, durchaus nicht zu Recht. Ich gehe im Folgenden etwas detaillierter einigen Punkten nach, die Peter von Matt anspricht. Zuvor aber sei gegen seine Argumentation einigermassen plakativ festgehalten, dass die Schule Normen braucht und dass Normsetzung nichts mit Kasernenton zu tun hat. Dass ferner Normen im Bereich der Rechtschreibung traditionsgemäss von der Politik für jene Bereiche gesetzt werden, für die sie zuständig ist – also für die öffentlichen Schulen und die öffentliche Verwaltung; die Politik stützt sich dabei auf die Arbeit von Fachleuten. Und endlich hat die schweizerische «Kultur der Vernehmlassung» im Prozess der Konsensbildung über die Normen der Rechtschreibung eine zentrale Rolle gespielt.

Sprache und (Recht-)Schreiben

Durch den ganzen Beitrag von Peter von Matt zieht sich ein Gedanke, der im Feuilleton ebenso wie offenbar in der Literaturwissenschaft unproblematisiert gilt, dass nämlich (Recht-)Schreiben Sprache ist. Folgerichtig ist dann bei Peter von Matt die Rede davon, dass die Orthographiereform «Eingriffe in den Wortschatz» gemacht habe, «Wörter zerstört» habe und dass von den Erziehungsdirektoren «nicht ersetzbare Wortverbindungen verboten» worden seien.

Demgegenüber möchte ich festhalten: Zwischen Sprache und (Recht-)Schreibung ist scharf zu unterscheiden. Gewiss sind beide regelgeleitet. Aber: Die Regeln von Sprache, z. B. der deutschen Sprache, ergeben sich aus dem Sprachgebrauch der Menschen, die Deutsch als ihre Muttersprache betrachten. Diesen Sprachgebrauch zu beobachten und die hinter ihm stehenden Regularitäten zu erkennen und in Grammatiken und Wörterbüchern zu beschreiben, ist die Aufgabe von Sprachwissenschaftern. Es ist nicht ihre Aufgabe, hier Regeln zu setzen: Ich selbst als Sprachwissenschafter würde es mir verbieten, das auch nur zu versuchen.

Demgegenüber haben sich die Regeln für die Schreibung auf der Grundlage allgemeiner Prinzipien in den zurückliegenden Jahrhunderten entwickelt, und sie sind von Grammatikern und Didaktikern systematisiert worden. Diese Regeln sind – für die Schreibung im Deutschen – z. B. im Band 1 des Duden festgehalten, in doppelter Kodifikation, nämlich in einem Regelteil und einem Wörterbuchteil. Solche Regeln für die Schreibung dürfen gesetzt und verbindlich gemacht werden, vom Staat oder von einem dazu berufenen Wörterbuch.

Was heisst das nun konkreter? Peter von Matt beklagt die Aufhebung einiger Unterschiedsschreibungen und erhebt den Vorwurf, es seien Wörter liquidiert worden. Dagegen ist zu sagen: Wenn ein Regelwerk zu machen ist, das lehrbar, lernbar und handhabbar sein soll, möglichst ohne Ausnahmeregelungen, kommt es fast zwangsläufig zu Schreibänderungen in die eine oder andere Richtung. Aber durch eine solche Änderung, hier eine neue Getrenntschreibung, wird, auch wenn sie gewöhnungsbedürftig ist, nichts liquidiert, nichts vernichtet, nichts verboten, was in der Sprache da ist. Wörter bleiben doch, unabhängig davon, wie sie geschrieben werden, sie selbst. Ich kann die Schrift so hoch unmöglich schätzen. Eine Rechtschreibreform reformiert die Rechtschreibung, mehr nicht.

Nun kann man argumentieren, dass die «Nähe», der innere Zusammenhang zwischen Wörtern, die zusammengehören, unterschiedlich ist. Eine Schreibung wie eine Handvoll mag sich daher dem sensiblen Schreiber mit Macht aufdrängen, auch gegen das Rechtschreibwörterbuch. Was spricht dagegen, dann im individuellen Schreiben zusammenzuschreiben? Auch Rechtschreibung braucht eine gewisse Elastizität. Das ist dann freilich keine Frage der Norm, sondern des Umgangs mit der Norm, des Usus. Und der kann in Grenzen durchaus seine eigenen Wege gehen, damit die Normen von morgen vorbereitend.

Das gilt übrigens auch in der Schule. Natürlich haben die Lehrer zunächst einmal die Normen zu lehren, aber sie sind ja nicht die Rotstiftfetischisten, als die eine unfreundliche Öffentlichkeit sie gern sieht. Im Gegenteil: Sie werden an gezielter, freilich dosierter Abweichung von der Norm ihre Freude haben, z. B. wo diese Zusatzinformation liefert. Welcher Lehrer, welche Lehrerin akzeptiert nicht amüsiert die Schreibung Emannzipation der Frau, freilich nicht ohne sich zu vergewissern, dass die Abweichungsschreibung gewollt ist: Wer sich für Abweichung entscheidet, muss schliesslich die Norm besonders gut kennen.

Kultur der Vernehmlassung

Peter von Matt wirft sodann den Erziehungsdirektoren vor, sie hätten die Neuregelung an den Interessengruppen vorbei durchgezogen. Dieser Vorwurf ist unbegründet. Man muss vielleicht zuerst einmal daran erinnern, dass eine Rechtschreibregelung ja nur die Schule und die staatliche Verwaltung bindet; es hätte also genügt, Repräsentanten aus diesen Kreisen in die Arbeit an der Neuregelung einzubeziehen. Stattdessen hat die Konferenz der Schweizerischen Erziehungsdirektoren (EDK) schon bei der Gründung der (Schweizer) «Arbeitsgruppe Rechtschreibreform» auf breite Abstützung geachtet, indem sie neben Linguisten auch Lehrer, Vertreter des grafischen Gewerbes, der Verlage, des Kaufmännischen Vereins und anderer Interessengruppen eingebunden hat.

Die Ergebnisse der Arbeit an der Neuregelung wurden seit Ende der achtziger Jahre publiziert, an verschiedenen Stellen präsentiert und zur Diskussion gestellt und in Vernehmlassungen geschickt – sowohl auf nationaler wie auf internationaler Ebene. Dies betraf Einzelfragen ebenso wie das Gesamtregelwerk. Die letzte Anhörung fand im September 2003 statt. Allerdings war die Resonanz in der Öffentlichkeit mässig. Fazit: Es fehlte nicht an Einladungen zur Vernehmlassung, wohl aber an Resonanz. Insofern haben sich die Schweizer Erziehungsdirektoren durchaus korrekt verhalten.

Horst Sitta

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Norbert Lindenthal
21.08.2004 03.27
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NZZ Neue Zürcher Zeitung

21. August 2004, 02:13, Neue Zürcher Zeitung

Welche Rechtschreibung soll gelten?

Ein Bildungsdirektor und ein Gymnasiallehrer im Streitgespräch

Nach Jahren scheinbarer Lethargie in Sachen Rechtschreibreform ist der Disput um Sinn und Leistung der Anpassungen wieder heftig entbrannt, nachdem grosse deutsche Verlage die Neuerungen nicht hatten umsetzen wollen. Wir haben den Aargauer Bildungsdirektor Rainer Huber und den St. Galler Theologen und Gymnasiallehrer Stefan Stirnemann, der auch Mitglied der Forschungsgruppe Deutsche Sprache ist, zum Streitgespräch eingeladen. Als «Dompteur» wirkte Inlandredaktor Walter Hagenbüchle.

In einem Jahr sollte eigentlich die reformierte Rechtschreibung in Amts- und Schulstuben definitiv in Kraft treten. Mitten im Sommerloch mehrten sich nun aber in Deutschland die Anzeichen, dass dieser Fahrplan möglicherweise Makulatur wird. Hat Sie der neue Ungehorsam überrascht?

Stirnemann: Überhaupt nicht, denn es ist Zeit für diesen Streit. Zudem möchte ich festhalten, dass gar nicht die ursprünglichen Reformvorschläge umgesetzt würden, sondern eine in wesentlichen Punkten stark geänderte Regelung, da eingesehen wurde, dass die Reform in wesentlichen Bereichen fehlerhaft war und deshalb von der Öffentlichkeit gar nicht angenommen wurde. Das macht die Lage für die Schule so schwierig.

Huber: Ein Sommerloch wird immer medial aufgefüllt, deshalb überrascht mich der Zeitpunkt nicht. Irritiert bin ich über die Vehemenz des Widerstandes und den Umgangston. Die Reform wurde in einer zwischenstaatlichen Vereinbarung im Juli 1996 beschlossen, und es wurde dafür eine grosszügige Übergangsfrist bis 2005 eingeräumt. Dass dies alles nun quasi fünf vor zwölf wieder in Frage gestellt werden soll, ist enttäuschend.

In Frage stellen darf man aber Sprachnormen schon, denn die Sprache gehört dem Volk?

Huber: Das ist richtig, und der Sprachgebrauch wird sich ja auch weiterentwickeln. Eine Rechtschreibreform regiert aber ja auch nicht unsere Sprachgewohnheiten, sondern lediglich die schriftliche Verkehrsform. Die Querelen um die Reform deuten auch auf einen Generationenkonflikt hin: Sechs Schülerjahrgänge haben nun die neuen Regeln gelernt und wären sehr überrascht, wenn sie bereits wieder umlernen müssten, nur weil die Reformgegner es verpasst haben, früher zu reagieren.

Dass die Reform im Alltag nicht akzeptiert wurde, wie Herr Stirnemann sagt, ist falsch?

Huber: Ja, denn an den Schulen und in den Verwaltungen ist die Reform sehr wohl auf Akzeptanz gestossen.

Stirnemann: Und was sagen Sie dazu, dass die Lehrer vieles als falsch anstreichen müssen, was in der NZZ oder in anderen Zeitungen als richtig gilt? Das geht juristisch nicht.

Huber: Es wird immer verschiedene Schreibweisen geben, die richtig sind. Die Schule hat damit keine Schwierigkeiten. Wenn aber alle grossen Zeitungen und Nachrichtenagenturen auf die alte Rechtschreibung umstellen würden, wären die Gegensätze zu gross. Die Erziehungsdirektorenkonferenz hat nie die Absicht gehabt, irgendeine Regelung festzulegen, die ausserhalb des täglichen Sprachgebrauches ist. Die Reformdiskussion darf aber nicht auf dem Buckel der jungen Generation ausgetragen werden.

Finden Sie denn, die Reform sei inhaltlich und sprachwissenschaftlich gelungen, wenn so viele Verlage davon abweichen?

Huber: Die Schweiz hat ja einen moderaten Weg gewählt. Selbstverständlich lässt sich über manches streiten, und wir sollen auch die Weiterentwicklung nicht verhindern. Aber wir sind von Staates wegen verpflichtet, für Schule und Verwaltung verbindliche Vorgaben zu machen. Zudem ist es jetzt zu spät, zur alten Rechtschreibung zurückzukehren.

Ein Marschhalt ist also tabu?

Huber: Ich kann mir allenfalls vorstellen, dass man, wenn in den nächsten Monaten keine Einigung erfolgt, die Übergangsfrist verlängern muss. Aber das Rad zurückzudrehen und beispielsweise unsere Schüler wieder mit vielen Ausnahmen zu belasten – das ist ja ein Merkmal der alten Regelung –, ist falsch. Die Erziehungsdirektorenkonferenz unternimmt grosse Anstrengungen, dass der Gebrauch der Standardsprache verbessert wird. Bei einer Rückkehr würde die Verunsicherung total, es drohte sprachlicher Wildwuchs. Sie können die Entwicklung der Sprache nicht stoppen.

Stirnemann: Klarheit und Verbindlichkeit hat es bis 1996 gegeben, mit der Reform aber sind sie weg. Das liegt daran, dass in den Kernbereichen die Reform missglückt ist. Ich habe hier ein ganz neues Wörterbuch für die zweite Primarklasse, das aber von 1994 stammt. Offenbar kann man damit unterrichten. Warum? Weil von 2000 Einträgen nur gerade 8 von der neuen Rechtschreibung betroffen sind. Eingreifend wird die Reform erst in oberen Klassen, wo es um Satzbau, Interpunktion und Wortbildung geht. Genau da stecken schwere Fehler. Deswegen musste man dauernd ändern. Das Chaos an Schulen entsteht nicht mit der Umkehr, sondern wenn man diese verhindert.

Huber: Es hat nie eine einzig richtige deutsche Rechtschreibung gegeben, das war ein dauernder Anpassungsprozess. Ich möchte daran erinnern, dass der Bundesrat erstmals 1902 die Duden- Rechtschreibung als verbindlich für unsere Schulen und für die Verwaltung festgelegt hat.

Stirnemann: Konrad Duden hat nicht eine neue Rechtschreibung festgelegt, sondern im Wesentlichen die gebräuchliche bestätigt. Dann ist schleichend die Dudenredaktion allein zuständig geworden für die Rechtschreibung. Sie hat aber immer nur nachgezeichnet, was sich weiterentwickelt hat. Das hat bis 1996 gut geklappt, dann kam der grosse Bruch. Man hat von aussen ganz neue Regeln an die Sprache herangetragen.

War also diese Einmischung des Staates der eigentliche Sündenfall?

Stirnemann: Unbedingt, er hätte besser die Finger davon gelassen. Deshalb wird es jetzt auch so schwierig, diesen Fehler wieder zu korrigieren.

Huber: Sprache kann nicht verordnet werden, sie gehört weder dem Staat noch den Experten. Dennoch ist es notwendig, dass die festgelegten Regeln von Zeit zu Zeit angepasst und auch vereinfacht werden. Mit der Rechtschreibereform hat man sich im deutschsprachigen Sprachraum zu gemeinsamen neuen Normen durchgerungen. Dass ein solcher Ansatz natürlich auch mit Fehlern behaftet ist, stellt niemand in Frage. Es muss auch eine Entwicklung nach der Reform geben, mit weiteren Anpassungen. Es wäre aber falsch zu behaupten, es hätte früher einmal eine «richtige» deutsche Rechtschreibung gegeben. Für neu Lernende der deutschen Sprache hat die jetzige Regelung eine klar einfachere und systematischere Norm gebracht, gerade auch für die anderssprachigen Schülerinnen und Schüler.

Stirnemann: Es gibt keine taugliche Studie, die beweist, dass die Fehlerzahl seit 1996 abgenommen hat. Wenn Sie sagen, es sei eine Vereinfachung, dann nenne ich die neuen Kommaregeln. Da heisst es in neuen Lehrbüchern, bestimmte Kommas könne man meist weglassen. Genau dann aber werden die Texte sehr viel schwerer verständlich, weniger eindeutig. In der Schule wird also unterrichtet, was die Texterfassung erschwert. Das darf doch nicht sein. Warum denn hat gerade die NZZ die Kommaregelung nicht übernommen? Weil Kommas Lesehilfen sind. Diese Hilfe wird den Schülern vorenthalten.

Finden Sie, Orthographie sei bezogen auf die Sprachkompetenz eine entscheidende Grösse?

Stirnemann: Ja, denn die neuen Regeln im Kernbereich des Zusammen- und Getrenntschreibens, des Gross- und Kleinschreibens führen die Schüler teilweise zu falschem und altem Deutsch, womit die Sprachentwicklung zurückgedreht wird. Das müssen wir korrigieren, und dazu braucht es neue und unabhängige Sprachwissenschafter.

Aberkennen Sie denn den bisherigen Akteuren ihre Fachkompetenz?

Stirnemann: In den Kernbereichen haben sie meines Erachtens wissenschaftlich versagt.

Wie soll es nun weitergehen?

Stirnemann: Auch die Schulbehörden müssen Deutschland gegenüber fordern, dass wieder geordnete Verhältnisse eintreten. Es darf nicht sein, dass an Schulen eine Rechtschreibung unterrichtet wird, die im Alltag nicht angewendet wird.

Sie sammeln für dieses Anliegen Unterschriften?

Stirnemann: Ich beginne damit in diesen Tagen. Bereits habe ich aber Unterschriften von Fachschaften Deutsch, die die Entwicklung mit Sorge verfolgen. Die Unterschriften werden der Erziehungsdirektorenkonferenz vorgelegt mit der Bitte, die Regeln nicht verbindlich werden zu lassen und das Regelwerk von unabhängigen Experten überprüfen zu lassen. Es steht die Glaubwürdigkeit von Schule und Politik auf dem Spiel.

Was sagt Ihr Bildungsdirektor, der ja auch EDK-Präsident ist, zu Ihren Aktivitäten?

Stirnemann: Herr Stöckling hat im Gespräch mit den «Schweizer Monatsheften» festgehalten, dass die Politik nicht über richtig und falsch entscheiden soll. Sie soll nur entscheiden, welches Lehrbuch, welches Wörterbuch, das mit der Sprachwirklichkeit übereinstimmt, für die Schule ausgewählt werden soll. Das ist genau der richtige Weg, er deckt sich mit meinem.

Huber: Im Aargau, Herr Stirnemann, finden Sie ganze Schulen, die ihren Aufruf aus Überzeugung nicht unterzeichnen würden. Sie sagen klar, dass sie keine Rückkehr wollen. Und als politischer Vorgesetzter, nicht als Sprachfachmann, teile ich diese Meinung ebenso wie die gesamte EDK und der Lehrerdachverband. Wenn aber die grossen Verlage oder gar ganz Deutschland wieder zurückbuchstabiert bei der Reform, dann darf die Schweiz keine Rechtschreibe-Insel bleiben. Dann müssen wir auf Expertenebene die Diskussion weiterführen.

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Norbert Lindenthal
19.08.2004 04.42
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NZZ Neue Zürcher Zeitung

19. August 2004, 02:11, Neue Zürcher Zeitung

Staatssprache Österreichisch

Ein Rechtschreibmanifest der Dichter

Fort mit den «Parametern aus Mannheim». «Keine deutsche Rechtschreibreform mehr!» Jetzt proben einige österreichische Schriftsteller den Aufstand und fordern Unerhörtes: «Österreichisch» als eigene Sprache. Robert Schindel, Marlene Streeruwitz, Christian Ide Hintze und der Wiener Poet Roland Neuwirth haben sich zusammengetan, um ein Manifest auszuarbeiten, das in Staatsaktionen enden könnte. Kommissionen könnten gebildet, Vokabelsammlungen angelegt werden. Ein Ruck wie seit langem nicht mehr könnte durchs Land gehen. An der Spitze der patriotischen Bewegung ausgerechnet die Dichter.

«Die Deutschen haben trotz Schnitzler und Kafka nicht verstanden, dass es ein österreichisches Deutsch gibt», sagt Robert Schindel. Einen «Ausdruck des Eigenen» fordert Marlene Streeruwitz. Nicht nationalistisch sei die Forderung zu verstehen, sagt Roland Neuwirth, Poet des Wienerischen und «Extremschrammler». Es gehe vielmehr um Unterscheidbarkeit und Vielfalt. «Sind wir Schriftdeutsche oder was?», fragt Christian Ide Hintze. Ganz so enragiert will man dann aber doch nicht wirken, und so gibt man der Sache im Bedarfsfall auch den Anstrich von Humor. Ernst bleibt dagegen der Grazer Germanist Rudolf Muhr, ebenfalls ein Unterzeichner des Manifests. Er fordert klare gesetzliche Änderungen. So wie selbst in Australien in der Verfassung ein australisches Englisch festgeschrieben ist, so müsste Österreich seinen achten Verfassungsparagraphen modifizieren. Ist das «Österreichische Deutsch» erst einmal als Landessprache fixiert, erhält es auch in der EU Rechtswirksamkeit.

Tatsächlich ist der österreichische Sprachschatz auf internationaler Ebene kaum amtlich. Das zum Beitritt verfasste «Protokoll Nr. 10» der Europäischen Union hält fest, dass Wörter wie «Powidl», «Faschiertes», «Eierschwammerl» oder «Ribisel» mit «der gleichen Rechtswirkung verwendet werden dürfen» wie die in Deutschland gebräuchlichen Ausdrücke. Für dreiundzwanzig Begriffe, die allesamt dem Küchenwesen entstammen, hat Österreich das Europapatent. Das ist beschämend wenig an nationaler Identität. Man darf also die Fäuste ballen gegen Brüssel oder gegen Mannheim, das Machtzentrum der deutschen Sprache, für das die meisten österreichischen Eigenheiten als landschaftliche Absonderlichkeiten gelten.

Die patriotischen Dichter des Manifests und das Volk sind sich übrigens ziemlich einig. 62 Prozent der Österreicher befürworten eine Rückkehr zur alten Rechtschreibung, 32 Prozent heissen die Reform gut, aber nur 12 Prozent verwenden schon jetzt die neuen Regeln.

Abseits des Manifests sind die österreichischen Schriftsteller in Sachen Rechtschreibreform durchaus uneins. Auch Elfriede Jelinek und Alois Brandstetter haben bekanntgegeben, eine allzu grosse Abhängigkeit von deutscher Normierung zu empfinden. Peter Henisch sympathisiert mit dem Manifest, verwahrt sich aber doch gegen heimattümelnde Tendenzen. Robert Menasse hat in der «Süddeutschen» angekündigt, weiterhin «das grosse, weite und tiefe Deutsch» schreiben zu wollen, «das die Reformer nicht verstehen». Auf der Seite der Befürworter der neuen Rechtschreibung finden sich Wolfgang Bauer (er nennt sie «liebenswerter» als die alte) und Franzobel, dem die Änderungen jedoch nicht weit genug gehen.

Wenn alles klappt mit der Forderung «Österreichisch als eigene Sprache» (Unterschriftenlisten liegen auf), könnte eines Tages zu den unzähligen EU-Dolmetschern ein weiterer kommen. Er würde Wörter wie «Spompernadeln», «Pamperletsch», «Simandl» oder «Gspasslaberln» womöglich in «mudelsauberes» Deutsch bringen. Der österreichische Eros, dem Karl Kraus in einer aphoristischen Skizze mit den genannten Wörtern ein Denkmal gesetzt hat, könnte über den Sprachbürokraten strahlen.

Paul Jandl

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Dominik Schumacher
14.08.2004 20.14
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NZZ Neue Zürcher Zeitung / Perlentaucher

Neue Zürcher Zeitung, 14.08.2004

Im Feuilleton wünscht sich Peter von Matt (mehr), dass die Schweiz im Streit um die Rechtschreibreform „aktiv wird und die verhärteten Positionen unterläuft“. Schließlich hat sie mit Bürgerbeteiligungen viel mehr Erfahrung als Deutschland. „Es gibt Lösungen. Es gibt gründlich erarbeitete Kompromissvorschläge, die die vernünftigen Ideen aufnehmen und nur den blanken Unsinn beseitigen. Sie wurden vom Tisch gewischt. Kasernenton. Der erste dieser Vorschläge kam aus der Schweiz, von der Redaktion der NZZ. Sie stellte übersichtlich die Orthographie vor, in der diese Zeitung jetzt gedruckt wird (hier). Es wäre ein Ansatz gewesen für eine offene Diskussion, eine goldene Brücke zu einer vernünftigen Übereinkunft im ganzen deutschen Sprachgebiet. Diese Übereinkunft wollte man nicht ... Es ist die Aufgabe der Schweiz, die Fronten im letzten Moment zu lockern, den drohenden Termin in Frage zu stellen und ein neues Gesprächsklima zu schaffen. In der Schweiz kann man das, sonst gäbe es das Land schon lange nicht mehr.“

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Norbert Lindenthal
14.08.2004 06.13
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NZZ Neue Zürcher Zeitung

14. August 2004, 02:10, Neue Zürcher Zeitung

Auf die Sprache hören

Ein Plädoyer für eine Lockerung der Fronten

Von Peter von Matt

Die Schweizer Erziehungsdirektoren warnen vor einer Katastrophe, wenn die von ihnen verordneten Rechtschreibevorschriften nicht in Kraft gesetzt würden. Schön wär's. Die Katastrophe ist bereits da, hier und jetzt und ausgewachsen.

Die Katastrophe, meinen die Erziehungsdirektoren, trete ein, wenn die Kinder in Zukunft nicht mit schlechten Noten bestraft werden, falls sie die deutschen Wörter anders schreiben, als die neuen Vorschriften es verlangen. Das heisst: Die Kinder werden bestraft, wenn sie so schreiben, wie sie es in vielen Zeitungen sehen, die zu Hause herumliegen, und in fast allen Büchern, die ihre Eltern lesen.


Ich habe drei Tageszeitungen abonniert, angesehene Blätter aus dem In- und Ausland. Jede dieser Zeitungen befolgt erklärtermassen andere orthographische Regeln, und nur eine hat die Vorschriften der Erziehungsdirektoren übernommen. Ich habe auch mit den Büchern der deutschen Gegenwartsliteratur viel zu tun. Keines dieser Bücher ist nach den Rechtschreibevorschriften gedruckt, deren Nichteinhaltung den Kindern nach dem Willen der Erziehungsdirektoren rote Striche am Heftrand und gegebenenfalls die Nichtversetzung in eine höhere Klasse eintragen soll.

Die sogenannte Umsetzung der Reform bedeutet nur eines: den Beginn der Sanktionen gegenüber den Kindern, die nicht nach den obrigkeitlichen Vorschriften schreiben. Denn Sanktionen gegenüber Schriftstellern und Zeitungen gibt es nicht. Glücklicherweise. Die Aufgabe der Schulen ist es, die Kinder einzuführen in das Lesen und Schreiben der deutschen Sprache, so wie sie in der Gegenwart gebraucht wird. Die Schule hat das Deutsch zu unterrichten, das in den wichtigen Zeitungen und Büchern steht, nicht das Deutsch der Korrekturprogramme, mit deren Hilfe die Verwaltung ihre Reglemente redigiert.

Der grössere Teil der Schreibenden, die sich regelmässig in persönlich verantworteten Texten der Öffentlichkeit stellen, weigert sich, nach den neuen Vorschriften zu schreiben. Faktum. In den Texten dieser Schreibenden erscheint nun aber die deutsche Sprache, die in der Gegenwart gebraucht wird. Wenn die Mehrheit der deutschsprachigen Presse- und Buchproduktion die Reform ablehnt, darf die Schule sie gar nicht mehr vorschreiben. Sonst vergeht sie sich gegen ihren Auftrag.

Es ist denkbar, dass eine Orthographiereform ohne Eingriffe in den Wortschatz breite Anerkennung gefunden hätte. Die albernen Gämsen und Stängel vielleicht sogar inbegriffen. Da nun aber massiv in den Wortschatz eingegriffen, Wörter zerstört und nicht ersetzbare Wortverbindungen verboten wurden, kam es zum Aufstand. Wenn ein Dieb «im Dorf wohl bekannt ist», heisst das etwas anderes, als wenn er «im Dorf wohlbekannt ist». Der Unterschied kann juristische Konsequenzen haben. Jetzt darf man ihn aber nicht mehr zum Ausdruck bringen. Die Erziehungsdirektoren verbieten es. Wenn mir einer «eine Hand voll Dornen» zeigt, heisst das etwas anderes, als wenn er mir «eine Handvoll Dornen» zeigt. Das schöne Wort «eine Handvoll», ein Mengenmass, das im Schweizer Dialekt sogar den Diminutiv kennt, es Hämpfeli, wurde liquidiert. Dieses Wüten gegen den gewachsenen Wortschatz hat die Wut der Schreibenden hervorgerufen, hat den Widerstand am Leben erhalten und wachsen lassen. Dieses Wüten gegen den gewachsenen Wortschatz verdeckt jetzt viele durchaus vernünftige Vorschläge der Kommission.

Die Schweiz hält sich etwas zugute auf ihre politische Kultur. Dazu gehört ein breites Vernehmlassungsverfahren bei neuen Gesetzesvorlagen. Da werden regelmässig alle Interessengruppen vom Flachland über die Hügelzone bis zur Bergregion begrüsst. Wo blieb das Verfahren bei der Rechtschreibreform? Warum ist man auf die Journalistenverbände, die Schriftstellerorganisationen, die Verlage nicht zugegangen? Sie verantworten die deutsche Sprache, wie sie in der Gegenwart gebraucht wird. Warum hat die Schweiz ihre Kultur der Vernehmlassung nicht eingebracht und auch die andern Ländern dazu angehalten?

Stattdessen ergeht heute von der Schweiz aus an die Nachbarstaaten die Forderung: «Hart bleiben!» Das ist Kasernenton. Es gibt Gründe, ihn für peinlich zu halten. Und es gibt Gründe, daraus abzulesen, was den Kindern droht.

Ruft man, wenn der Dachstock brennt: «Hart bleiben!»? Ruft man, wenn ein Bein gebrochen ist: «Hart bleiben!»? Nein, da müssen Spritzen her, und es muss geschient werden. So auch in der real existierenden Sprachkatastrophe. Es gibt Lösungen. Es gibt gründlich erarbeitete Kompromissvorschläge, die die vernünftigen Ideen aufnehmen und nur den blanken Unsinn beseitigen. Sie wurden vom Tisch gewischt. Kasernenton.

Der erste dieser Vorschläge kam aus der Schweiz, von der Redaktion der NZZ. Sie stellte übersichtlich die Orthographie vor, in der diese Zeitung jetzt gedruckt wird. Es wäre ein Ansatz gewesen für eine offene Diskussion, eine goldene Brücke zu einer vernünftigen Übereinkunft im ganzen deutschen Sprachgebiet. Diese Übereinkunft wollte man nicht. «Hart bleiben!»

Es ist die Aufgabe der Schweiz, die Fronten im letzten Moment zu lockern, den drohenden Termin in Frage zu stellen und ein neues Gesprächsklima zu schaffen. In der Schweiz kann man das, sonst gäbe es das Land schon lange nicht mehr. Der Prozess wird lang sein und soll auch lang sein. Es geht darum, auf die Sprache zu hören, statt ihr zu befehlen. Es geht nicht um die gedruckten Schulbücher. Mit denen können unsere Lehrerinnen und Lehrer in jedem Fall umgehen. Die haben noch ganz anderes am Hals und bestehen es besser, als die Öffentlichkeit wahrhaben will. Die Schweiz hat bei den internationalen Gesprächen versagt, als sie eine breite Vernehmlassung verhindern half. Jetzt kann sie das wettmachen, indem sie aktiv wird und die verhärteten Positionen unterläuft. Es ist im Interesse aller, nicht zuletzt der Kinder mit den roten Strichen im Reinheft.

Auf die Sprache hören

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Norbert Lindenthal
07.08.2004 03.02
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NZZ Neue Zürcher Zeitung

6. August 2004, 23:19, NZZ Online

Führende deutsche Presseprodukte kehren zum alten Duden zurück

Paukenschlag mit grosser Wirkung

Die überraschende Rückkehr der Verlage «Spiegel» und «Axel Springer» zur alten Rechtschreibung ist in Deutschland auf Kritik und Beifall gestossen. Zwei CDU-Ministerpräsidenten begrüssten am Freitag den Vorstoss, während von der SPD deutliche Ablehnung kam. Die deutschen Medien zeigten sich uneins.

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Position der NZZ: Kein Handlungsbedarf

Details: Die NZZ-Regeln

Schweiz: «Es gäbe Chaos an Schulen»

(ap) Die Leser von «Bild» und «Spiegel» werden demnächst wieder altvertraute Schreibweisen in ihrem Blatt vorfinden. Die Entscheidung der beiden Verlage, zu den Regeln vor der Reform von 1998 zurückzukehren war am Freitag ein Paukenschlag in der politischen Sommerflaute Deutschlands. «Nach fünf Jahren praktischer Erprobung in den Druckmedien und sechs Jahren in den Schulen hat die Reform weder für professionell Schreibende noch für Schüler Erleichterung oder Vereinfachung gebracht», begründeten die Verlage ihr Vorgehen. Auch auch die Mehrheit der deutschsprachigen Schriftsteller – von Grass bis Enzensberger – lehne es ab, dass ihre Werke in neuer Schreibung erschienen, heisst es.

Kein Verständnis

Entrüstet äusserte sich die Vorsitzende der Kultusministerkonferenz, Doris Ahnen (SPD). Für einen derartigen Beschluss habe sie kein Verständnis, sagte die Bildungsministerin des Bundeslandes Rheinland-Pfalz. Die Initiatoren dieser Aktion blieben jede Antwort schuldig, wie in Zukunft die verschiedenen Interessen unter einen Hut gebracht werden sollten, kritisierte die SPD-Politikerin.

Die Ministerpräsidenten der CDU-regierten Bundesländer Saarland und Niedersachsen kündigten an, sich weiter für die Abschaffung der Rechtschreibreform einzusetzen. Für eine Rücknahme der Reform sind einstimmige Beschlüsse von Kultusminister- wie Ministerpräsidentenkonferenz nötig. Der rheinland-pfälzische Ministerpräsident Kurt Beck (SPD) erklärte, er lehne eine Rücknahme weiterhin ab.

«Süddeutsche Zeitung»  will nachziehen

Während die «Süddeutsche Zeitung» die Reform ebenfalls zurücknehmen will, äusserten sich mehrere Verlage und Nachrichtenagenturen abwartend. Der Burda-Verlag, der «Stern» und die Berliner Tageszeitung «taz» erteilten der Initiative eine Absage. Wann die «Süddeutsche Zeitung» zur alten Rechtschreibung zurückkehre, sei noch offen, sagte ein Sprecher. Die grundsätzliche Entscheidung sei aber getroffen.Sowohl Bauer als auch der Jahreszeiten-Verlag äusserten Sympathie für den Vorstoss von Spiegel und Springer. Zunächst solle aber abgewartet werden, ob eine breite Front von Verlagen dem Beispiel folge.

«Stern» und «Focus» bleiben dabei

Die Nachrichtenagenturen AP und DPA erklärten, vorerst die Reaktion der Kunden abzuwarten. Gegenwärtig gebe es keinen Handlungsbedarf, sagte AP-Chefredakteur Peter Gehrig. «Stern», «Focus», «taz» und «Frankfurter Rundschau» wollen dem Beispiel nicht folgen und an den neuen Regeln festhalten. Der «Focus»-Verlag Burda erklärte, man wolle den Kampf um die Rechtschreibung nicht auf dem Rücken der jungen Leser austragen. Bindend sei, was in der Schule gelehrt werde. Beim «Stern» hiess es, man halte an den neuen Regeln fest, befürworte aber Änderungen im Detail.

Philologenverband für Kompromiss

Der Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger erwartet von der Spiegel/Springer-Entscheidung eine Signalwirkung auch für andere Medien. Bei der Übernahme der neuen Rechtschreibung vor fünf Jahren habe es die Überzeugung gegeben, dass Zeitungen diejenige Schreibung übernehmen müssten, die in den Schulen gelehrt werde.

In diese Richtung zielt auch die Reaktion des Deutschen Philologenverbands, der einen schnellen Kompromiss anmahnte. Es gebe Teile der Rechtschreibreform, die völlig unumstritten seien wie etwa die ss/ss-Regelung, betonte der Verband. Umgekehrt sei die Zusammen- und Getrenntschreibung noch nicht befriedigend geregelt. Der Grundsatz einer einheitlichen deutschen Rechtschreibung dürfe nicht aufgegeben werden.

Deutscher Lehrerverband positiv

Der Deutsche Lehrerverband (DL) forderte die Ministerpräsidenten auf, die Rechtschreibreform zur Chefsache zu machen, damit die Schulen nicht ins orthografische Abseits gerieten. Die alte Rechtschreibung müsse wieder verbindlich werden. Dagegen forderte der Verband Bildung und Erziehung, «die derzeitige hysterische Debatte» zu beenden. Die Reform sei durchaus nicht total gescheitert.

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Norbert Lindenthal
01.08.2004 05.43
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NZZ Neue Zürcher Zeitung

30. Juli 2004, 02:11, Neue Zürcher Zeitung

Unvermutet Oberwasser

Gegner der Rechtschreibreform gestärkt

Es ist schon erstaunlich, was für Tiraden die Rechtschreibreform auf sich zieht. Als skrupellose «Mafia, die sich vor Jahren in irgendwelchen Hinterzimmern zusammengerottet hat, um mit der deutschen Sprache gründlich aufzuräumen», sahen sich die Betreiber der Reform vergangenen Montag in der «FAZ» beschimpft. Die politisch verantwortlichen Kultusminister seien Legastheniker und Ignoranten, die ihnen gehorchenden Schullehrer servile Feiglinge, schäumte Hans Magnus Enzensberger. Vielleicht muss man Schriftsteller sein, um über Misshandlungen des Sprachkörpers, wie sie die Reform verübt, derart die Contenance zu verlieren.

Enzensberger ist ein viel zu kluger Kopf, als dass man annehmen darf, ihn treibe einzig blanke Wut. Kalkül wird schon auch dabei sein. Aussichtslose Kämpfe sind Enzensbergers Sache nicht. Seine Polemik ergeht in einem Moment, da die Reformgegner unvermutet Oberwasser bekommen haben. Als die deutsche Kultusministerkonferenz Anfang Juni die bisherige Umsetzung der Rechtschreibreform absegnete, hiess sie zwar auch zahlreiche Revisionen gut. Auf die Radikallösung aber, eine Rücknahme des Regelwerks, schien hernach niemand mehr hoffen zu dürfen. War das verfrühte Resignation? Mittlerweile hat sich eine Allianz aus Reformkritikern gebildet, die von Amts wegen das Zeug hätten, tatsächlich noch eine Änderung herbeizuführen: Fünf Ministerpräsidenten aus CDU- bzw. CSU-regierten Bundesländern scheinen entschlossen, ihren Kultusministern die rechtschreibpolitische Zuständigkeit zu entziehen.

Verfassungsrechtlich stünde dem Eingriff der Landesherren in die Fachressorts nichts entgegen. Im Oktober ist Ministerpräsidentenkonferenz, und dann soll das Thema auf die Tagesordnung kommen. Fraglich bleibt die Erfolgsaussicht der Initiative insofern, als nicht nur sozialdemokratische, sondern auch einzelne christdemokratische Ministerpräsidenten das Reformpaket lieber verschnürt lassen wollen, um unter Lehrern und Schülern keine neue Verunsicherung zu erzeugen. Das Gros der Schulbuchverlage warnt, weitere Kosten fürchtend, ebenfalls vor einer Rücknahme; Belletristikverleger und Literaten hingegen plädieren mehrheitlich für eine Rückkehr zur alten Schreibung – zumal da sie ihr ohnehin oft treu geblieben sind. Günter Grass, Adolf Muschg, Martin Walser: Diese Granden des Literaturbetriebs haben ihre Opposition wider die Reform jüngst wieder bekräftigt. Doch was nützt die beste Orthographie, wenn es im Ausdruck hapert? Niedersachsens Ministerpräsident fordert die Rücknahme der Reform mit den Worten, man müsse jetzt «die Reset-Taste drücken». Offenbar ist schiefes Sprechen ein Problem, das auch die Verfechter des rechten Schreibens nicht verschont.

Joachim Güntner

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