Des Kaisers reformierter Garten
Es war einmal ein Garten, der allen Menschen des Landes gehörte, er hieß ‘Deutsch’. Die Pflanzen in ihm waren von einer sagenhaften Vielfalt, man finde dergleichen nur noch in ganz wenigen anderen Gärten, so hörte man sagen. Des Gartens Pfade waren verzweigt und geheimnisvoll verschlungen, fast konnte man sich in ihm verirren. Doch gerade das machte seinen Zauber aus.
Zu jener Zeit aber tummelten sich ehrgeizige und für alles Schöne unempfängliche Unterlinge am Hof des Kaisers. Ihnen waren die Blumen zu bunt, die Bäume zu hoch und die Wege zu krumm. Es fehle an rechten Winkeln, Schneisen und Abkürzungen, erklärten sie. Und, nach einer Intelligenzpause, schön brauche ein Garten nicht zu sein, es komme vielmehr darauf an, daß man ihn leicht putzen und einfach durchqueren könne. Lange fanden sie kein Gehör, denn die meisten Bewohner des Landes nahmen das Gerede nicht ernst. Sie hielten rechtwinklige Ordnung nicht für ein Kennzeichen guter Gärten. Auch die Gärtnermeister lächelten milde und kümmerten sich nicht um die Schwätzer. Sie fuhren in ihrer Arbeit fort, kappten hier und da behutsam einen Ast, wenn es sich gar nicht mehr vermeiden ließ, oder lichteten das Gestrüpp, wenn die Sonne das darunterliegende Gras nicht mehr erreichte, oder pflanzten behutsam ein paar neue Bäume, wo die alten, knorrigen Stämme umgefallen waren. Mehr taten sie nicht.
Für die Unterlinge jedoch war Garten nur ein anderes Wort für Urwald. Und weil sie nicht ausgelastet waren und sich langweilten, redeten sie auf den Kaiser ein, aus Spaß. Man müsse den Garten umgestalten, er passe nicht mehr in diese Zeit. Es gebe ohnehin zu viele arbeitslose Holzfäller, die beschäftigt werden müßten, fügten sie hinzu, um ihren Standpunkt mit einem sozialen Aspekt zu verzieren; zu jener Zeit war das Mode. Den Kaiser, der müde vom vielen Regieren war, erwischten sie mit ihrem Antrag beim Gähnen. Er wolle seine Ruhe haben. Holzfäller, so erinnerte er sich, hatten im weitesten Sinn mit Pflanzen zu tun. Also hätten die Unterlinge wahrscheinlich recht. Und er gab ihnen freie Hand. Als die Holzfäller das vernahmen, stutzten sie ob der unerwarteten Ehre, aber sie ließen sich die Gelegenheit nicht entgehen: Sie jubelten und legten alsbald Axt und Säge an. Sie schnitten und trennten, sie pflügten und hackten, es war eine Orgie. Als sie zu Sinnen kamen und eine Pause einlegten, war der Garten zerstört. Selbst Einheimische konnten ihn nicht wiedererkennen.
Als der Kaiser das Ergebnis sah, schlug er die Hände vor das Gesicht und weinte bitterlich. “Was habe ich nur angerichtet!”, schrie er in den Nachthimmel, als es keiner hörte. In seiner Not fiel ihm der Trick mit den Kleidern ein, von dem er in seiner Jugend so oft hatte erzählen hören. “Ich muß”, dachte er, seine Tränen trocknend, “das vergewaltigte Gelände als Paradies verkaufen.” Sprach’s, und rief seine Unterlinge zu sich. “Gehet hin und verkündet: Der reformierte Garten ist der größte Fortschritt seit der Erfindung des Zweispänners.” Und so verkündeten sie es.
Die Bürger mochten den neuen Garten nicht, dachten aber: “Wenn der Kaiser von Fortschritt spricht, muß was dran sein”. Also pilgerten sie zu dem ehemaligen Garten, priesen die neue Unordnung und versprachen, sich schnell daran zu gewöhnen. Zwischen herunterhängenden Zweigen und unbegehbaren Wegen bahnen sie sich seither mühsam ihren Weg durch das einstige Paradies. Es sind gute Bürger: Sie sind zwar verunsichert, stolpern, brechen ein, verletzen sich im querliegenden Fallholz aber sie klagen nicht.
Nur ein paar Gärtnermeister, die wissen, wie richtiges Grün aussieht, fallen aus der Reihe: “Des Kaisers neues Gelände ist kein Garten, sondern ein Verhau!” Sie sagten es von Anfang an, aber man hörte sie nicht. Es gab zu wenige von ihnen und sie sagten es zu leise.
Karl-Heinz Isleif
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