Zehetmair, der einzige, der sich mit der Reform befaßt hat
ORTHOGRAFIE / Hans Zehetmair, der Vorsitzende des Rats für deutsche Rechtschreibung, fordert einen individuelleren Umgang mit den Regeln
„Die Sprache lebt“
Mit den Regeln, die der Rat für deutsche Rechtschreibung vorlegt, werden umstrittene Partien der neuen Rechtschreibung obsolet. Wenn die Kultusministerkonferenz das Regelwerk, wie zu erwarten, im März annimmt, wird es mit dem Schuljahr 2006/07 verbindlich. Auch die bislang an der herkömmlichen Schreibung festhaltende „FAZ“ schwenkt um: „Ich halte die Vorschläge des ,Rats für deutsche Rechtschreibung‘ in großen Teilen für vernünftig“, erklärte Frank Schirrmacher, Mitherausgeber der Zeitung, dem Rheinischen Merkur: „Zehetmair hat eine großartige Leistung vollbracht, indem er wiederherstellte, was wirklich untragbar war. Die FAZ wird sich diesen Vorschlägen anschließen können.“ Damit lässt sich ein Ende des orthografischen Streits absehen. hjn
[Einfügung von Merkur: Inzwischen hat die "FAZ" Ihren Schwenk in Sachen Rechtschreibung dementiert: "15. Februar 2006 Einige Vorschläge, die der vom früheren bayerischen Kultusminister Hans Zehetmair (CSU) geleitete Rechtschreibrat unterbreitet hat, stellen die alte Rechtschreibung wieder her, zu der die Frankfurter Allgemeine Zeitung schon im Jahr 2000 zurückgekehrt war. Nur dafür wurde Hans Zehetmair von F.A.Z.- Mitherausgeber Frank Schirrmacher in einem Gespräch mit der Wochenzeitung „Rheinischer Merkur” gelobt. Die F.A.Z. wird auch die weiteren Vorschläge des Rats für Rechtschreibung sorgfältig prüfen. Medienberichte, die nach dem Interview einen „Schwenk” der F.A.Z. in Sachen Rechtschreibung unterstellen, entsprechen nicht den Tatsachen." Text: FAZ.NET]
RHEINISCHER MERKUR: Die Lage der deutschen Rechtschreibung ist chaotisch. Wie konnte es dazu kommen?
HANS ZEHETMAIR: Die Frage kann ich nur bedingt beantworten, weil ich ja durch die Kultusminister Deutschlands auf meine jetzige Position als Vorsitzender des Rats für deutsche Rechtschreibung gebeten wurde. Der wurde ins Leben gerufen, weil die Kommission für deutsche Rechtschreibung, die Vorgängerin des Rates, sich zu stark vom Sprachgebrauch der Menschen entfernt hatte. Das war kein Ruhmesblatt für die Politik. Die Politik sollte nicht glauben, sie könne oder müsse die Sprachpflege und die Schreibfähigkeit der Menschen reglementieren. Sprache lebt, sie ist ein lebendiger Organismus.
Warum haben Sie als bayerischer Kultusminister seinerzeit der neuen Orthografie zugestimmt?
Das kann ich so nicht stehen lassen. Als ich 1986 Minister wurde, war das schon im Gang; ich wurde nicht gefragt, ob ich zustimme. Man wollte meine Zustimmung haben, dass man alles kleinschreiben sollte. Als ich das erste Mal davon erfuhr, war meine spontane Reaktion: Da wird Bayern nicht mitmachen. Ich habe ein Veto eingelegt, das dazu führte, dass sich das Ganze wieder um Jahre verzögerte und schließlich auch nicht weiterverfolgt wurde. Man wollte auch den Heiligen Vater kleinschreiben! So habe ich 1995 gesagt, solange der Katholik Zehetmair Kultusminister in Bayern ist, werdet ihr es nicht hinkriegen, dass der Heilige Vater kleingeschrieben wird und der Schwarze Peter groß.
Aber Bayern, um das festzuhalten, hat nicht opponiert, ist nicht ausgestiegen aus der Reform, sondern hat mitgemacht.
Ja. Bayern hat letztlich mitgemacht.
War das ein Sündenfall der bayerischen Kulturpolitik?
Ein Sündenfall war es nicht, aber alle Länder stimmten zu, um einen Konsens herbeizuführen und das Kapitel abzuschließen. Es wird keinen geben, der sich je darüber gefreut hat; es gab viele, die es endlich vom Tisch haben wollten.
Als Sie die Arbeit im Rat aufnahmen, haben Sie von „tätiger Reue“ gesprochen. Wofür fühlten Sie sich schuldig?
Dafür, dass ich mich überhaupt hineinbegeben habe, dass ich mich habe mittreiben lassen, nolens volens, immer wieder etwas zu erneuern und zu verändern. Ich selber habe mich als einziger Minister, soweit ich feststellen kann, mit der Reform befasst und habe 1995 eine Reihe Korrekturen veranlasst. Ich habe nicht zugelassen, dass die Philosophie mit f geschrieben wurde, dass die Apotheke ihr h verlor.Ich habe gerade bei aus dem Griechischen kommenden Wörtern gesagt:Eine solche Entstellung der Sprache mache ich nicht mit. Da hat man diese 30 Korrekturen, die ich benannt habe, vorgenommen, und damit glaubte ich in etwa, das Wichtigste erledigt zu haben. Ich habe nicht registriert, dass dann Stengel mit ä geschrieben werden sollte, das „Quäntchen Glück“, „gang und gäbe“ und so weiter. Woran wir ja noch heute knabbern.
Sollten die reformkritischen Medien Ihren Vorschlägen folgen?
Ich bin ganz sicher, dass es sich letztendlich, auf Jahrzehnte gesehen, kein Printorgan leisten kann, eine völlig andere Rechtschreibung zu handhaben. Daher glaube ich, dass die reformkritischen Printmedien das Interesse haben, dass möglichst viele Korrekturen, die aus ihrer Sicht erforderlich erscheinen, durchgeführt werden. Diese Medien werden jetzt bilanzieren können, dass eine ganze Reihe von Änderungen vorgenommen wird, aber manche werden sich weiter an einigen Regelungen stoßen. Wäre es nur darum gegangen, das umzusetzen, was ich persönlich für richtig und notwendig hielt, hätte ich wesentlich weniger Probleme mit den Gazetten, die sehr stark der alten Rechtschreibung anhängen, als es so der Fall ist. Ich konnte ja nur dann Korrekturen durchbringen, wenn ich eine Zweidrittelmehrheit bekam.
Angesichts der Besetzung des Rates bedeutet diese Mehrheitsklausel faktisch, dass sich kaum etwas bewegen kann.
Sie haben Verständnis, dass ich als Vorsitzender des Rates für Rechtschreibung auch positiv in die Zukunft denken muss und daher keine negative Zwischenbilanz abgebe. Es ist ein schwerer Weg, das habe ich immer gesagt. Eine Zweidrittelmehrheit bedeutet natürlich auch manchen Kompromiss, der vielleicht für die Sprache nicht das Beste ist. Aber umgekehrt ist dies auch ein Spiegelbild für das Empfinden der Schweizer, der Österreicher und der Deutschen, um nur die drei größten Staaten zu nennen. Und wenn Sie ein Gremium mit vielen Professoren, mit Sprachwissenschaftlern und Didaktikern haben, ist es sehr schwierig, die in einen Konsens zu bringen und in eine Zweidrittelmehrheit, zumal eine Reihe von Persönlichkeiten dabei ist, die frühere Vorschläge der Kommission, die es jetzt zu korrigieren galt, selber eingebracht hatten.
Es ist ja im Zusammenhang mit der Arbeit des Rates zu Selbstbegutachtungen durch einige seiner Mitglieder gekommen. Das ist doch ein skandalöser Vorgang.
Die Zusammensetzung hat uns die Kultusministerkonferenz vorgegeben. Ich kann darüber als Vorsitzender des Rates nicht befinden. Ich kann nur sagen, dass das die Arbeit nicht erleichtert hat. Und ich analysiere mit gewissem Stolz: Bei den personellen Vorgaben, die man uns gemacht hat, bin ich erstaunt, dass ich in so vielen Fällen Mehrheitsbeschlüsse herbeigeführt habe.
Die Wörterliste wird momentan von Ihrer Geschäftsführerin in Zusammenarbeit mit zwei Wörterbuch-Redaktionen zusammengestellt, um dann als Anhang zu Ihrem Regelwerk der KMKvorgelegt zu werden. Ist es nicht etwas riskant, eine Liste einzureichen, über die der Rat gar nicht befunden hat, gewissermaßen als Katze im Sack?
Ich hoffe nicht, dass es die Katze im Sack ist, doch Sie verweisen zu Recht auf ein gewisses Risiko. Aber ich hätte sonst sagen müssen, wir schaffen das nicht bis Anfang März. Wir geben die Wortliste zunächst informell an alle Mitglieder des Rates, sodass sie sich noch kurzfristig zu einzelnen Wörtern äußern können. Ich glaube, die beiden Wörterbuchverlage und unsere Geschäftsführerin werden das so korrekt machen, dass man damit leben kann. Aber diese Wortliste kann nichts definitiv Abgeschlossenes sein, sie kann nicht den Anspruch auf Vollständigkeit erheben. Wenn Sie die Geschichte der Reformen verfolgen, dann wissen Sie: Das ist ein ungemein komplexes und mühsames Unterfangen;fast jedes Mal müssen Nachergänzungen vorgenommen werden. Unser Dilemma ist, dass alle meinen, man könne alles durch Regelwerke perfekt lösen. Da lobe ich mir doch den alten Goethe, der selber schon gesagt hat, was kümmere ich mich um die Rechtschreibung, ich schreibe das so, wie ich will.
Verstehen wir Sie richtig: Sie wollen eine Subjektivierung der Rechtschreibung?
Eine gewisse Subjektivierung, ja. Ich denke, es sollte nur so sein, dass der Sprachgebrauch in Schrift und Lektüre für uns nicht eine Heterogenität hat als Leitlinie, sondern ein hohes Maß an gegenseitigem Verständnis und damit auch an Vertrautheit des Schriftbildes. Es geht nicht darum, ob irgendein Schriftsteller eine kreative Sprachschöpfung findet, das soll er, sondern es geht darum, dass er nicht provokativ wirkend vom „dass“beginnend bis zum „Leid tun“ et cetera das bewusst anders schreibt, als es gängig ist. Darum haben wir ja auch versucht, diese Korrekturen vorzunehmen.
Selbst Reformer bestreiten nicht mehr, dass die Rechtschreibsicherheit seit einigen Jahren stark erodiert. Das aber schadet besonders den so genannten „bildungsfernen Schichten“. Wer klare Regeln braucht, wird durch den aktuellen Regelwirrwarr verunsichert und zu fehlerhaften Analogien à la „Strasse“ verleitet. Daran ist doch allein die Dauerreform schuld.
Es wäre ein unredliches Schönreden, wenn man nicht konstatieren würde, dass dieses endlos wirkende Reformgerede seit den achtziger und neunziger Jahren den Menschen die Sprache und die Rechtschreibung immer leidiger gemacht hat. Was dazu führt, dass manche Erosion stattgefunden hat. Man möge aber bitte im Abstand der Geschichte registrieren, dass auch bei der letzten Reform Anfang des 20. Jahrhunderts die Unsicherheit, die Unzufriedenheit und die Drohung, zu schreiben, wie man will, grassierten. Und dass das nach einem Jahrzehnt in der unverbildeten Welt des Schreibens und des Lesens deutlich abnahm. Da spielen natürlich die Printmedien heute eine ganz große Rolle, da spielt auch die Lektüre eine Rolle. Und wie es nicht geht, dass man sich bewusst anlegt mit der Schreibe der Enzensbergers und Grass' et cetera, so muss man auch sagen, dass es natürlich einige Subjektivierungen geben darf und geben wird.
Aber das verkennt doch die schulpädagogische Realität! Die Lehrer müssen doch Rechtschreibung lehren. Da muss eine Regel gelten, Varianten, wie Sie sie jetzt vorsehen, verunsichern da doch nur!
Sie sprechen die Schwierigkeit an, vor der wir im Rat standen. Wir mussten immer wieder und wollten auf die Kinder schauen und sie aus dieser Unsicherheit herausnehmen. Wir mussten aber auch darauf achten, dass nicht ganz evident wird, dass die Nichtschulwelt beliebig anders schreibt als die Schulwelt, die ja dann auch in die Erwachsenenwelt hineinwächst und Verlässlichkeit braucht. Sie sagen, es müssen feste Regeln sein. Antwort: Ja. Aber wir müssen bei dieser Reform auch darauf achten, zumal die Kinder durch dieses Wellental geschickt wurden, dass nicht ein neuer Fehlerteufel erfunden wird, den die Lehrer dann bei den geplagten Schülern anstreichen können. Dass es dabei nicht eine völlige Homogenität zwischen der Schweiz und Schleswig-Holstein geben muss, das muss uns klar sein. Das war immer so.
Werden Sie auch in den nächsten Jahren der Vorsitzende des Rates bleiben?
Ich war nie ein Fahnenflüchtiger, und ich habe die Absicht, den Rat in ruhige Fahrwasser zu führen, nachdem es mir gelungen ist, nach den Aufgeregtheiten ein hohes Maß an Konsens herbeizuführen.
Was raten Sie der KMK? Soll sie das Reformsystem korrigieren?
Ich habe den Wunsch, dass die Kultusminister sich bewusst sind: Politik sollte sich nie mehr mit Rechtschreibung befassen. Und was die abschließende Beschlussfassung Anfang März betrifft, so wünsche ich den Kultusministern, den ehemaligen Kolleginnen und Kollegen, dass sie dieses heiße Pflaster nicht länger betreten, als es unbedingt zum Abschluss sein muss.
In Zukunft sollten also nicht Politiker über die Zusammensetzung des Rates befinden?
Ich kann mir gut vorstellen, dass Ihre These sehr viel Tiefgang hat.
Die Fragen stellten Michael Rutz und Hans-Joachim Neubauer.
© Rheinischer Merkur Nr. 7, 16.02.2006
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Sigmar Salzburg
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