„Keine Regeln von oben herab“
Keine Grundlage für unsere Sprache
Betrifft: „Keine Regeln von oben herab – Rechtschreibrat: Vorsitzender Josef Lange über Sprache, Unterricht und Regeln“, Kultur, 2. Juli
Josef Lange, der neue Vorsitzende des Rechtschreibrats, sagt im Interview: „Der Rat und die Reformer von damals haben begriffen, dass sich Sprache entwickelt und man nicht von oben herab vorgeben darf, wie zu schreiben ist.“ Soll das ein Scherz sein? Zuerst zwingen die Reformer allen Schulen und Ämtern ihre sprachwidrigen Schreibungen auf, anschließend erlauben sie gnädigst wieder ein paar Varianten.
Die ganze Rechtschreibreform, die Millionen Arbeitsstunden vergeudet, Milliarden gekostet und eine jahrzehntelange und noch anhaltende Verwirrung bewirkt hat, war nichts anderes als ein Schreibdiktat. Und je unsinniger die Befehle sind (von 1996 bis 2006 sollte man schreiben „er hat ganz Recht und tut mir sehr Leid“), desto mehr werden sie als Zwang empfunden. Deshalb haben sich auch Hunderttausende von Bürgerinnen und Bürgern, vor allem in Niedersachsen und Schleswig-Holstein, mutig dagegen gewehrt.
Der Rechtschreibrat sollte endlich einmal zugeben, was Johanna Wanka, langjährige Wissenschaftsministerin in Brandenburg und später in Niedersachsen und heute Bildungsministerin in Berlin, schon 2006 im „Spiegel“ gesagt hat: „Die Kultusminister wissen längst, dass die Rechtschreibreform falsch war. Aus Gründen der Staatsräson ist sie nicht zurückgenommen worden.“ (...)
Friedrich Denk
Zürich
Der frühere Staatssekretär im niedersächsischen Kulturministerium und jetzige Vorsitzende des Rates für deutsche Rechtschreibung, Josef Lange, hat unfreiwillig das ganze Dilemma der Rechtschreibreform, unter der seit nunmehr 20 Jahren die deutsche Sprache leidet, auf den Punkt gebracht, indem er zugibt, dass deutsche Wörterbücher nicht identisch sind.
Bis 1996 existierte die Einheitlichkeit der deutschen Orthografie, die für eine Sprachgemeinschaft von unschätzbarem Wert ist. Von falschem Ehrgeiz getriebene Sprachwissenschaftler und Kultusbürokraten sowie Wörterbuchverleger, die das Duden-Monopol brechen wollten, haben diese Einheitlichkeit mit einem Schlag zerstört.
Seither gelten unzählige Schreibweisen parallel als richtig, zahllose Wörterbücher unterscheiden sich voneinander, so dass man nicht mehr wissen kann, was richtig und was falsch ist.
Weiter meint Herr Lange, die Lehrer legten immer weniger Wert auf korrekte Rechtschreibung. Das umschreibt nur, in welcher Notlage sie stecken. Der eine schaut beim Korrigieren in den Duden, der andere in den Bertelsmann und der dritte in einen Duden älterer Auflage. Jedes Mal stößt man dabei auf zahlreiche voneinander abweichende Schreibweisen.
Wo jedoch Beliebigkeit herrscht, kann man leicht behaupten, die Rechtschreibreform sei gut angekommen. Beliebigkeit aber kann nicht die Grundlage sein für unsere Sprache, das einzige Instrument, mit dem wir in der Lage sind, uns zu verständigen.
Gabriele Ahrens
Oldenburg
nwzonline.de 16.7.2016
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