Main-Rheiner
Anderswo lacht man schon über uns
Elisabeth Mudersbach, Stadtelternbeiratschefin und Lehrerin, über die Rechtschreibreform
Vom 11.08.2004
Alte Rechtschreibung, neue Rechtschreibung und als dritte Version bald noch ein Kompromiss aus diesen beiden? Elisabeth Mudersbach kennt sogar weitere Spielarten. Die von Kindern nämlich, die mit dem Durcheinander auf ihre Weise klarzukommen suchen.
Von unserem
Redaktionsmitglied Michael Wien
Kinder sind stolz, wenn sie endlich so unentbehrliche Informationen wie die auf Müsli-Packungen, Joghurt-Bechern oder Waschmitteln entziffern können. Sind diese dann nach verschiedenen Schreibweisen gestaltet, erhalten Kinder keine Orientierung, sondern reagieren verunsichert. Zumal auch die Eltern nicht sagen können, was davon morgen noch gilt, sagt Mudersbach, Vorsitzende des Stadtelternbeirates und Lehrerin (Englisch, Gesellschaftslehre). Die Schriftlegung der Sprache hat ihre Verbindlichkeit verloren. Das führt dazu, dass Kinder ihre Phantasie einsetzen, um eigene Vermutungen anzustellen.
Vom Boykott der Reform durch Schriftsteller und einzelne Buch- und Zeitungsverlage hält Mudersbach nichts. Das vergrößert dann auch noch die Verunsicherung der Erwachsenen. Natürlich, die KMK, die Kultusministerkonferenz, auf die schon Kanzler Helmut Schmidt schimpfte, sei kein Verfassungsorgan. Jede Legitimation, die Sprache zu reformieren, spricht Mudersbach ihr aber dennoch nicht ab. Die Minister vertreten Landesparlamente und sorgen gemeinsam für Einheitlichkeit. Im Prinzip jedenfalls. Das diesmal einheitlich erzeugte Chaos hätte die KMK vermeiden können: Sie hätte Vorschläge machen, diese mit Sprachwissenschaftlern und Literaten diskutieren, dann die Reform beschließen und sofort durchsetzen müssen. Ohne Fachleute zu werkeln, um dann eine Übergangsfrist zu beschließen, in der jeder fruchtlos sagt, was er von der Reform hält und jeder gerade so schreibt, wie er mag, sei falsch. Als die Reform überlegt wurde, war die Politik wohl nicht so weit wie heute.
Lässt sich eine Sprache statt zu wachsen per Ministerbeschluss verbessern? Eine Reform war unumgänglich. Nicht zuletzt Verfremdungen durch viele Fremdwörter französische, lateinische, griechische, später englische hatten dazu beigetragen, dass weite Teile der Bevölkerung Probleme mit der Rechtschreibung bekamen. Die unfachgemäße Reform habe Vereinfachungen, aber auch manche Verarmung gebracht: ",Filosofie' zu schreiben, heißt die Herkunft des Wortes zu leugnen.
Das sprunghafte Anwachsen der Zahl von Kindern mit Lese- und Rechtschreibschwäche sei wahrscheinlich nur Zeichen einer Verunsicherung von Kindern, denen Vorbilder fehlten. Ein Kinderbuch ist in neuer, ein anderes in alter Schreibweise gehalten. Eltern kann man nicht mehr fragen. Schulen warten mit der Anschaffung von Büchern darauf, welche Version sich durchsetzt. Im Ergebnis dieser Jahre andauernden Zwischenphase haben wir Schulbücher, in denen sich die deutsche Einheit weder in Texten noch Karten spiegelt. Anderswo lacht man doch schon über uns.
Eine Sprache zu schreiben, der man viel abgewinnt, fällt leichter. Ist da nicht eine fortschreitende Verkürzung auf das Umgangssprachliche gefährlich? Die Schulen achten sehr auf bewusste Trennung zwischen gesprochenem und geschriebenem Text. Erkenne ich nicht den Schatz, den eine Sprache darstellt, ist mir die Rechtschreibung egal. Kinder bekämen Lust auf eine Sprache, wenn sie entdeckten, dass sich Sorgfalt lohnt, um verbindlicher und präziser Dinge, Geschehnisse, Empfindungen beschreiben zu können. In Zeiten karger E-Mails und SMS-Botschaften ist das ganz besonders wichtig.
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